Drucksache 18/12850
– 1494 –
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
20. Oktober 2004 unter der Leitung von Uhrlau zwischen Vertretern der Abteilung 2 des BND und hochrangigen Vertretern der Abteilung 6 des Kanzleramtes war jedenfalls die Frage der rechtlichen Zulässigkeit der
Nutzung von Ausland-Ausland-Verkehren bei einem G 10-Abgriff kein Thema mehr. Hierbei ging es nur
noch darum, die für die Operation EIKONAL „notwendige“ G 10-Anordnung erhalten. In dem Ergebnisvermerk der Besprechung ist festgehalten:
„– In Fragen der Behandlung bzw. Selektion leitungsvermittelter ‚Transit‘-Verkehre
sowie der Ableitung von ‚Routineverkehren‘ aus G 10 besteht kein Handlungsbedarf.
Handlungsbedarf besteht hinsichtlich der Darlegung des Vorhabens zur Überwachung
paketvermittelter Verkehre gegenüber [geschwärzt/TK-Unternehmen] und der G 10Kommission. In der Diskussion wurden die Optionen ‚Erstellen eines Gutachtens
durch BK‘ und ‚Herbeiführen eines förmlichen Beschlusses der G 10-Kommission
ausgeschlossen‘. Eine Änderung des G 10-Gesetzes wäre nicht vermittelbar.“8086
Trotz des hohen Risikos, insbesondere bei der Erfassung von Internetverkehren hat das Kanzleramt auf ein
Rechtsgutachten oder eine Befassung der G 10-Kommission mit den tatsächlichen Absichten hinsichtlich der
„Routineverkehre“ bewusst verzichtet. Stattdessen wurde vereinbart, einen „Probeantrag“ bei der G 10-Kommission für die G 10-Erfassung zu stellen und der Kommission in einem Vortrag „den aktuellen Stand der
technischen Erfassungsmöglichkeiten“ zu präsentieren.8087
Letztlich hatten BND und Kanzleramt damals erkannt, dass bereits kurz nach der Neuregelung im Artikel
10-Gesetz von Juni 2001, die eine Aufklärung von leitungsgebundenen Verkehren erst möglich gemacht
hatte, eine neue Rechtsgrundlage erforderlich war, um weiterhin Ausland-Ausland-Verkehre im Zeitalter der
IP-Verkehre erfassen zu können.
Den rechtsstaatlich gebotenen Weg einer Gesetzesänderung ist das Kanzleramt unter der Leitung von Steinmeier jedoch nicht gegangen. Der Zeuge Uhrlau verwies in seiner Aussage auf die damalige (rot-grüne)
„Koalitionssituation“.8088 Diese Schuldzuweisung lenkt von der Motivationslage auf Seiten des BND und
Kanzleramtes ab, denn selbst nach weiteren zwei Großen Koalitionen und einer schwarz-gelben Koalition
bedurfte es erst der Enthüllungen durch Edward Snowden, der Anhörungen von ehemaligen Bundesverfassungsrichtern als Sachverständige im Ausschuss und der öffentlichen Diskussion, dass die Bundesregierung
und die sie tragenden Fraktionen von Union und SPD anerkannten, dass der BND für Ausland-AuslandErfassungen eine spezifische Rechtsgrundlage benötigt.
Den Äußerungen des damaligen BND-Präsidenten Hanning (s.o.) lässt sich entnehmen, dass eine Kontrolle
der sog. Routineaufklärung, die mengenmäßig nach Aussagen der BND-Zeugen 90 bis 99 Prozent des Aufkommens ausmache, nicht gewünscht, ja sogar um jeden Preis vermieden werden sollte.8089 Der BND sollte
ungestört im rechtsfreien und vor allem gänzlich unkontrollierten Raum weiterarbeiten können. Die mit der
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8089)
Unterrichtungsvorlage für AL6/BK vom 27. Oktober 2004, MAT A BND-17/3_Auszug_offen, Bl. 11-13 (12).
Unterrichtungsvorlage für AL6/BK vom 27. Oktober 2004, MAT A BND-17/3_Auszug_offen, Bl. 11-13 (12 f.).
Uhrlau, Protokoll-Nr. 81 I, S. 95.
Hanning, Protokoll-Nr. 65, S. 28f.