Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

d)

– 1433 –

Drucksache 18/12850

Anlasslose Massenüberwachung ist verfassungswidrig

Die massenhafte, anlasslose Überwachung personenbezogener Daten ist nie verhältnismäßig und damit stets
verfassungswidrig. Sie stellt einen erheblichen Eingriff in individuelle und extraterritorial für alle Menschen
gleichermaßen geltende Freiheitsrechte dar – insbesondere in das Fernmeldegeheimnis und den Kernbereich
der Telekommunikationsfreiheit gemäß Art. 10 GG7786 sowie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar. Jede einzelne Erhebung, Verarbeitung und Nutzung eines personenpezogenen Datums stellt nach
der Rechtsprechungd es BVerfG einen Grundrechtseingriff dar, der eigenständig zu bewerten ist, und besitzt
datenschutzrechtliche Relevanz.
Dem Schutz des Fernmeldegeheimnisses unterfallen dabei sowohl die Inhalte der verschiedenen Kommunikationsformen als auch sämtliche äußeren Umstände der Kommunikation, die Auskunft über Ort, Gesprächsteilnehmer_innen, Dauer der Unterhaltung etc. geben.
Die Wahrnehmung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung bleibt dabei ebenso verwehrt wie das
Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme in Fällen,
bei denen das Endgerät von Bürger_innen betroffen ist bzw. infiltriert wird. In Folge der Chilling Effects
setzt in zunehmendem Maße eine Bedrohung der freien, ungehinderten Kommunikation zwischen Menschen
und des Rechts auf freie Meinungsäußerung ein.
Anlasslose Massenüberwachung hat enorme negative Auswirkungen auf das Zusammenleben und Wirken
einer freiheitlichen demokratischen Zivilgesellschaft.7787 Mit ihr geht ein mit der Rechtsordnung unvereinbarer Generalverdacht gegen alle Bürger_innen einher. Sie widerspricht den Grundsätzen der Menschenwürde, der Privatheit von Kommunikation, der Persönlichkeitsrechte und datenschutzrechtlichen Prinzipien
wie der Datenvermeidung bzw. -sparsamkeit und Zweckbindung. Die zum Schutz freier und unüberwachter
Kommunikation in der Demokratie eigens geschaffenen Grundrechtsgewährleistungen werden durch unbegrenzte Datenabgriffe auf Glasfaser oder Satellit unterlaufen, da sie inzwischen alle denkbaren Datenarten
umfassen. Die Massenüberwachung entwertet die in nationalen, wie auch in supranationalen Verfassungen
und den Menschenrechten niedergelegten7788 Grundwerte und höhlt damit die Basis jeder Demokratie aus.
Sie stellt das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit, von rechtlichen Befugnissen der Dienste und ihrer parlamentarischen Kontrolle, von notwendigem Geheimschutz und öffentlicher Debatte in Frage. Dieses Verhältnis muss grundlegend und neu hinterfragt werden, insbesondere angesichts der im Untersuchungsausschuss bekanntgewordenen Dimensionen anlassloser, massenhafter Überwachung durch den BND.

7786)
7787)
7788)

Sachverständigengutachten von Bäcker, MAT A SV-2/3, S. 14; Hoffmann-Riem, MAT A SV-2/1, S. 11; Papier, MAT A SV-2/2,
S. 7.
Navi Pillay, mass surveillance violates human rights, statement of the UN High Commissioner for Human Rights on Human Rights
Day 10. Dezember 2013 http://www.unric.org/en/latest-un-buzz/28900-pillay-mass-surveillance-violates-human-rights, abgerufen
am 12. Juni 2017.
U. a. GG, Charta der Grundrechte der EU (Art. 8), EMRK (Art. 8), Zivilrechtspakt des Vertrags über die EU (Art. 16f.), EUDatenschutzrichtlinie, UN-Menschenrechtscharta (Art. 12); vgl. unten Abschnitt IV.7 Menschenrecht auf Privatheit.

Select target paragraph3