Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
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den hochgeladenen Adressbüchern von Mitgliedern wurden dafür genutzt, andere Mitglieder zu finden, die ebenfalls Kontakt zu den Adressen-Inhabern – oftmals Nichtmitglieder – hatten: So gerieten auch die ins Netz, die gar
nicht vernetzt werden wollten. Profildaten wurden für
Werbezwecke des Betreibers und Dritter verwendet – ungefragt, denn sie waren ja schon gespeichert. Zuletzt
sorgte der „Gefällt-mir“-Button eines großen amerikanischen Netzwerks für Aufruhr. Mit diesem kleinen Knopf,
der auf vielen Internet-Seiten zu finden ist, sammelt der
Betreiber auch Informationen darüber, was seine Mitglieder außerhalb des Netzwerks machen und „mögen“. Und
die Mitglieder können sehen, was ihre „Freunde“ mögen –
eine einfache Werbestrategie.
Eine Reaktion der nationalen und internationalen Datenschutzbehörden konnte angesichts des forschen Umgangs
mit personenbezogenen Daten durch die Netzwerkbetreiber nicht ausbleiben. Nach dem Düsseldorfer Kreis und
der Internationalen Arbeitsgruppe für Datenschutz in der
Telekommunikation hat die Artikel-29-Gruppe im Juni
2009 eine ausführliche „Stellungnahme zur Nutzung sozialer Online-Netzwerke“ veröffentlicht, die auch im Internet abrufbar ist (WP 163 – http://ec.europa.eu). Sie richtet
sich hauptsächlich an die Betreiber von Netzwerken, enthält aber auch hilfreiche Hinweise für die Nutzer.
Hier und da wurde zwischenzeitlich nachgebessert – Datenschutzerklärungen wurden überarbeitet und klarer
strukturiert und Widerspruchsmöglichkeiten eingebaut.
Mein Appell an die Nutzer ist weiterhin gültig: Gehen Sie
sorgsam mit Ihren Daten um.
4.6
Und nun? Was wird aus dem
Zugangserschwerungsgesetz?
Am 23. Februar 2010 trat das Zugangserschwerungsgesetz (BGBl. I S. 78) in Kraft. Die dort festgelegten Netzsperren werden jedoch nicht umgesetzt. Es mehren sich
Stimmen, die eine Rücknahme des Gesetzes fordern.
Schon mit Bekanntwerden der Initiative zur Bekämpfung
der Kinderpornografie Anfang 2009, die zuvor vom
BKA-Präsidenten und der damaligen Bundesfamilienministerin angestoßen worden war, polarisierten die geplanten Netzsperren die Öffentlichkeit, Kinderschützer und
Opfer ebenso wie Rechtsexperten und Bürgerrechtler.
Anfänglich auf Basis einer Vereinbarung mit dem BKA
sollten die Internet-Zugangsprovider anhand einer Liste
des BKA den gesamten Internet-Verkehr filtern und Aufrufe einer Internet-Seite mit kinderpornografischen Inhalten mit einem Stopp-Schild beantworten. Die BKA-Liste
sollte täglich aktualisiert und den Providern auf einem gesicherten Weg übermittelt werden.
Das folgende sehr kurze Gesetzgebungsverfahren wurde
von teils lauten und emotionalen Diskussionen begleitet.
Dass Kinderpornografie bekämpft werden muss, stand und
steht außer Frage. Vielmehr ging es zum einen darum, ob
Netzsperren überhaupt ein wirksames Mittel sind, wenn
sie nachgewiesenermaßen mit geringem Aufwand und
Sachverstand umgangen werden können. Zudem zweckentfremden Anbieter und Nutzer kinderpornographischen
Drucksache 17/5200
Materials immer wieder „normale“ Techniken des Internets – wie z. B. das sog. Fast-Flux-Verfahren (vgl. Kasten
zu Nr. 4.6) –, um elektronische Spuren zu verwischen. Damit wäre die Aktualität der BKA-Liste zumindest in Frage
gestellt. Zum anderen wurde befürchtet, dass mit der Einrichtung der notwendigen technischen Infrastruktur der
Weg für das Sperren und Filtern weiterer „unerwünschter“
Inhalte durch staatliche Zensur eröffnet würde. Und dass
sich eine solche Infrastruktur auch für wirtschaftliche Interessen einsetzen lässt, liegt auf der Hand.
Ich hielt es für problematisch, dass mit dem Abgleich mit
der BKA-Liste ein Eingriff in das Fernmeldegeheimnis
verbunden ist, ohne dass es hierfür eine gesetzliche Befugnis gab. Denn die technische Umsetzung der Netzsperren
bedeutet eine Erweiterung des eigentlichen Zwecks der
DNS-Abfragen (vgl. Kasten zu Nr. 6.4): Der technisch erforderlichen wurde eine zusätzliche Verarbeitung von Verkehrsdaten aller Internet-Nutzer hinzugefügt. Um zu entscheiden, ob anstelle der aufgerufenen Internet-Seite das
Stopp-Schild geliefert wird, muss der Provider bei jedem
Aufruf einer Internet-Seite prüfen, ob die Adresse der
Seite mit einem Eintrag in der BKA-Liste identisch ist. Im
Vordergrund der Diskussionen stand allerdings nicht die
Verhältnismäßigkeit der Maßnahme, sondern die Frage, in
welcher Form die Provider in die Pflicht genommen werden konnten. Da ein Grundrecht nicht durch eine einfache
vertragliche Vereinbarung eingeschränkt werden kann,
wurde in aller Eile ein Gesetz entworfen, das die Einschränkung legalisieren sollte.
Kurz vor Ende der 16. Legislaturperiode passierte das Gesetz den Bundestag und wurde nach einer intensiven Prüfung am 17. Februar 2010 vom Bundespräsidenten ausgefertigt. Dem BfDI wurde durch das Gesetz die Aufgabe
zugewiesen, eine bei meiner Dienststelle angesiedelte Expertenkommission zu ernennen, die die Zulässigkeit der
Einträge auf der BKA-Liste überwachen sollte. Ich habe
mich im Gesetzgebungsverfahren gegen diese Aufgabenzuweisung gewandt, weil sie meine Unabhängigkeit beeinträchtigen und zudem die Reputation als unabhängige
Datenschutzkontrollstelle beschädigen würde. Die seinerzeitige Bundestagsmehrheit ist diesen Argumenten allerdings nicht gefolgt.
Dann wurde es erst einmal still um die Netzsperren. Denn
zwischenzeitlich hatte die neue Regierung in ihrer Koalitionsvereinbarung festgeschrieben, das Gesetz nicht anzuwenden. Sang und klanglos wurde somit das BKA vom
BMI per Erlass angewiesen, keine Listen der InternetAdressen mit kinderpornografischen Inhalten zu erstellen,
was faktisch einer Nichtanwendung gleichkam. Ich halte
das Vorgehen, ein vom Parlament beschlossenes Gesetz
per Regierungserlass nicht anzuwenden, für verfassungsrechtlich äußerst problematisch, obwohl ich das damit verfolgte Ziel durchaus teile.
Da nach der Aussetzung des Gesetzes durch das BKA
keine Sperrlisten erstellt wurden, sah ich auch keine Notwendigkeit mehr, das zu ihrer Kontrolle vorgesehene Expertengremium zu berufen.
BfDI 23. Tätigkeitsbericht 2009-2010