Drucksache 17/5200
– 128 –
Mangels einer gesetzlichen Grundlage oder einer Einwilligung der Betroffenen war die mit der Durchführung des
Projektes einhergehende Auswertung der gespeicherten
Versichertendaten und die anschließende Nutzung der
Daten unzulässig. Zudem bestehen erhebliche Zweifel, ob
die mit dem Caritasverband vertraglich vereinbarte Leistung überhaupt als eine solche angesehen werden kann,
die von der Kasse im Rahmen ihrer gesetzlich zugewiesenen Aufgaben erbracht werden darf. Nachdem ich der Ersatzkasse meine datenschutzrechtlichen Bedenken mitgeteilt hatte, versicherte mir diese, die kritisierten Verträge
seien nur regional begrenzt abgeschlossen worden und
zwischenzeitlich ausgelaufen. Verlängert oder neu abgeschlossen würden entsprechende Verträge nicht.
11.2
Runder Tisch – Heimerziehung in
den 50er und 60er Jahren
Nach fast zweijähriger Arbeit hat der „Runde Tisch
Heimerziehung in den 50er und 60er Jahren“ im Dezember 2010 seinen Abschlussbericht vorgelegt. Meine datenschutzrechtlichen Anregungen wurden berücksichtigt.
Der im Auftrag des Bundestages eingerichtete Runde
Tisch sollte das Schicksal ehemaliger Heimkinder aufarbeiten, die in staatlichen, kirchlichen und privaten Heimen in Westdeutschland untergebracht und dort zum Teil
schwer misshandelt worden waren. Der Appell des Runden Tisches an alle Einrichtungen und Institutionen, den
ehemaligen Heimkindern Einsicht in die sie betreffenden
Akten zu ermöglichen und zu erleichtern, wird von mir
nachdrücklich unterstützt.
Nachdem sich eine Reihe ehemaliger Heimkinder im
Frühjahr 2006 an den Petitionsausschuss des Deutschen
Bundestages gewandt hatte, konstituierte der Bundestag
mit einstimmigem Beschluss im Februar 2009 den „Runden Tisch Heimerziehung in den 50er und 60er Jahren“.
An dem von der ehemaligen Bundestagsvizepräsidentin
Dr. Antje Vollmer moderierten Runden Tisch haben neben
Vertretern des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages auch Vertreter der zuständigen Bundesministerien, der kirchlichen und staatlichen Träger der Heime sowie Vertreter ehemaliger Heimkinder teilgenommen.
Da für die persönliche Aufarbeitung die Kenntnis der Betroffenen über Familiengeschichte, Herkunft und die Entwicklung in der Kindheit unumgänglich ist, bestand das
zentrale Anliegen der ehemaligen Heimkinder darin, Einsicht in ihre Heim- oder Krankenakten, aber auch in die
Akten der Heimleitungen oder der Jugendämter, nehmen
zu können oder zumindest Kenntnis über deren Inhalt zu
erlangen.
Da sich die Heime in unterschiedlicher Trägerschaft und in
verschiedenen Bundesländern. befunden haben, sind die
für die Akteneinsicht bzw. Auskunftserteilung anzuwendenden Rechtsvorschriften zwar unterschiedlich. Im Wesentlichen orientieren sich die Rechte der Betroffenen aber
an den Regelungen des Zehnten Sozialgesetzbuches
(SGB X). Danach ist sowohl das Akteneinsichtsrecht der
Betroffenen nach § 25 SGB X als auch das Auskunftsrecht
nach § 83 SGB X eingeschränkt, wenn Interessen Dritter
BfDI 23. Tätigkeitsbericht 2009-2010
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
entgegenstehen. Bei der Abwägung datenschutzrechtlicher Belange Dritter ist aber zu beachten, dass ehemalige
Erzieher oder Angestellte von Kinderheimen, deren Name
in Ausübung ihrer Funktion in die Akte aufgenommen
wurde, im Gegensatz zu den ebenfalls in den Akten erwähnten anderen Heimkindern, grundsätzlich keinen Anspruch darauf haben, dass ihre Namen unkenntlich gemacht werden. Das Interesse der Funktionsträger an der
Geheimhaltung ihrer Namen tritt vielmehr hinter das Informationsinteresse der Betroffenen zurück. Die Namen
anderer Heimkinder müssen hingegen vor Gewährung der
Akteineinsicht unkenntlich gemacht werden.
Auch der Umstand, dass bei vielen Akten angesichts der
verstrichenen Zeit bereits die Aufbewahrungsfrist abgelaufen ist, steht dem Recht auf Akteneinsicht und Auskunft der ehemaligen Heimkinder nicht entgegen. Altakten, deren Aufbewahrungsfrist verstrichen ist, dürfen
nämlich nicht einfach vernichtet werden. Dies ergibt sich
aus dem Rechtsgedanken des § 84 Absatz 2 Satz 2 SGB X,
wonach eine Löschung nur erfolgen darf, wenn kein
Grund zu der Annahme besteht, dass durch die Löschung
schutzwürdige Interessen des Betroffenen beeinträchtigt
werden. Gerade dies wäre aber bei der Vernichtung der
Akten der Fall, da das schützenswerte Interesse der Betroffenen auf Auskunft und Erhalt ihrer Unterlagen unwiederbringlich vereitelt würde.
Neben der Hilfestellung bei der persönlichen Bewältigung des Erlebten durch die Betroffenen hatte der Petitionsausschuss bereits bei Einrichtung des Runden Tisches
empfohlen, die Geschehnisse in der Heimerziehung im
westlichen Nachkriegs-Deutschland unter den damaligen
rechtlichen, pädagogischen und sozialen Bedingungen auch
wissenschaftlich aufzuarbeiten. Für die Übermittlung der
personenbezogenen Daten für wissenschaftliche Zwecke
wird in der Regel allerdings die Einwilligung der Betroffenen erforderlich sein. Dies folgt aus dem besonderen
Schutz der Sozialdaten und des Sozialgeheimnisses. Jugendämter und öffentlich-rechtliche Träger unterliegen
insofern den Einschränkungen des § 75 SGB X, wenn sie
Sozialdaten für die Forschung übermitteln wollen. Für
freie und kirchliche Träger gelten teilweise abweichende
Bestimmungen, sodass in diesen Fällen eine Prüfung des
Einzelfalls erfolgen muss. Aber auch hier ist es geboten,
dass eine wissenschaftliche Aufarbeitung nur unter strikter Beachtung des informationellen Selbstbestimmungsrechts der Betroffenen erfolgt.
Ich habe den Runden Tisch auf dessen Bitte hin bei datenschutzrechtlichen Fragen unterstützt. Er hat meine Anregungen aufgegriffen.
11.3
Kontrolle des Paul-Ehrlich-Instituts
offenbarte Datenschutzverstöße
Im Rahmen eines Beratungs- und Kontrollbesuchs beim
Paul-Ehrlich-Institut habe ich mich insbesondere mit der
datenschutzgerechten Ausgestaltung des Forschungsprojekts „Humanes endogenes Retrovirus, Typ K (HERV-K)“
sowie des Deutschen Hämophilieregisters beschäftigt.