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wie vor – akute Bedrohungslage war unabweisbar; neue Befugnisse der Sicherheitsbehörden schienen zwingend geboten. Es stellte sich aber die Frage nach dem Verhältnis zum
Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung mit der
auch politisch gebotenen Prämisse, sich von Terroristen
nicht den Abbau von Bürgerrechten aufzwingen zu lassen.

Die hier bereits beabsichtigte Einführung des § 129b Strafgesetzbuch (StGB), also die Erweiterung des Anwendungsbereichs der §§ 129, 129a StGB auf kriminelle und terroristische Vereinigungen weltweit, blieb in der Koalition lange
strittig und wurde erst am 30. August 2002 wirksam.

Bei der Fülle geplanter neuer Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung verbunden mit Befugnissen der Sicherheitsbehörden, die tiefe Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht auch
unbescholtener und unbeteiligter Bürger bedingen, ging es
aus der Sicht des Datenschutzes vor allem darum, die Balance zwischen dem nachvollziehbaren Sicherheitsinteresse
des Staates für seine Bürger und den schutzwürdigen Freiheitsrechten des Einzelnen zu halten, zumindest deren Kernbereich zu wahren.

2.2.2

In der politischen Diskussion unmittelbar nach den Anschlägen gab es deutliche Aussagen, den „Datenschutz tiefer zu
hängen“, verbunden mit der Aufforderung, angebliche Hürden des Datenschutzes in Richtung auf eine effiziente Antiterrorgesetzgebung nicht mehr oder nur noch beschränkt zu
dulden. Dagegen wandten sich die Datenschutzbeauftragten
des Bundes und der Länder bereits mit der Entschließung
vom 1. Oktober 2001 (s. Anlage 17) und weiter mit der Entschließung der 62. Konferenz der Datenschutzbeauftragten
des Bundes und der Länder (s. Anlage 18). Hierin bekräftigen sie die Auffassung, dass bei der künftigen Gesetzgebung die grundlegenden Rechtsstaatsprinzipien, nämlich
das Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit, das
Verhältnismäßigkeitsprinzip und der Erforderlichkeitsgrundsatz zu beachten sind („diese verfassungsrechtlichen
Garantien prägen den Rechtsstaat, den wir gemeinsam zu
verteidigen haben“).
Die Datenschutzbeauftragten verdeutlichten gleichwohl,
dass sie zu einem „offenen und konstruktiven Dialog über
etwa notwendige Anpassungen an die neue Bedrohungslage
bereit“ seien.
Ich habe schon im Vorfeld des ersten Arbeitsentwurfs des
BMI vom 12. Oktober 2001 (s. Nr. 2.2.2) deutlich gemacht,
den Kampf des demokratischen Rechtsstaats gegen den Terrorismus mit Nachdruck zu unterstützen. Dabei war mir
wichtig klarzustellen, dass einige Forderungen auch aus
meiner Sicht eher vertreten werden könnten, wenn sie befristet und einer Erfolgskontrolle (Evaluierung) unterworfen
würden (s. Nr. 2.3.1).
2.2

Gesetzgebungsverfahren zum
Terrorismusbekämpfungsgesetz

Zentrales Anliegen der Bundesregierung war die Früherkennung terroristischer Planungen, d. h. die Ziel- und Zweckrichtung der geplanten Sicherheitsmaßnahmen sollten in
erster Linie präventiv wirken. Vor allem daran musste sich
auch aus datenschutzrechtlicher Sicht das umfangreiche Gesetzespaket, als Sicherheitspaket I und II bezeichnet, messen lassen.
2.2.1

Sicherheitspaket I

Das Sicherheitspaket I enthielt vor allem die Änderungen
des Vereinsgesetzes (Aufhebung des so genannten Religionsprivilegs) und die Luftverkehrs-Zuverlässigkeitsüberprüfungsverordnung (s. Nr. 20.2).

Sicherheitspaket II – Terrorismusbekämpfungsgesetz – Referentenentwurf
aus dem BMI vom 12. Oktober 2001

Dieser Entwurf, den ich eher als ein Diskussionspapier angesehen habe, vermittelte nicht nur bei Datenschützern den Eindruck, als ob hier alle nur denkbaren und gesetzestechnisch
machbaren Möglichkeiten aufgelistet worden seien, teilweise
ohne realen Bezug zur Terrorismusbekämpfung. Insbesondere berücksichtigte der Entwurf die in weiten Teilen im
Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts vom
15. Dezember 1983 formulierten datenschutzrechtlichen
Vorgaben an Gesetze nicht. Er enthielt vielmehr sehr pauschale, nicht zielgenau auf konkrete Gefährdungssituationen
im terroristischen Bereich ausgerichtete neue Eingriffsbefugnisse und begegnete damit zu Recht, auch innerhalb der Bundesregierung, vielfältiger Kritik. Datenschutzrechtlich problematisiert habe ich insbesondere folgende Defizite dieses
ersten Entwurfs:
– Keine Befristung der neuen Befugnisse der Sicherheitsdienste;
– keine Verpflichtung zur Evaluierung;
– keine Benachrichtigungspflicht an den Betroffenen bei
Auskunftsbegehren der Nachrichtendienste gegenüber
Kreditinstituten, Anbietern von Postdiensten, Telekommunikations- und Telediensten sowie Luftfahrtunternehmen;
– keine Konkretisierung der biometrischen Daten im Gesetz, die in Pässe und Personalausweise aufgenommen
werden sollten. Dies sollte durch Rechtsverordnung des
BMI im Benehmen mit dem AA erfolgen;
– Initiativ-Ermittlungsbefugnis des BKA zur Verdachtsgewinnung.
2.2.3

Gesetzentwurf zur Bekämpfung
des internationalen Terrorismus
vom 15. November 2001 (Terrorismusbekämpfungsgesetz – Bundestagsdrucksache 14/7386)

Der Entwurf in der Fassung der Vorlage, der das Bundeskabinett am 7. November 2001 zugestimmt hat und der als Gesetzentwurf der Bundesregierung wortgleich mit dem
Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus
vom 15. November 2001 (Terrorismusbekämpfungsgesetz –
Bundestagsdrucksache 14/7386) war, enthielt dann jedoch
gegenüber dem vorgenannten Referentenentwurf erste wesentliche datenschutzrechtliche Verbesserungen, wie beispielsweise die
– Streichung der Initiativ-Ermittlungsbefugnis des BKA;
– Befristung der Neuregelungen im Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG), MAD-Gesetz, BND-Gesetz,
Artikel 10-Gesetz (G10) und im Sicherheitsüberprüfungsgesetz (SÜG) auf fünf Jahre;

BfD 19. Tätigkeitsbericht 2001–2002

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