Abweichende Meinung
der Richterinnen Jaeger und Hohmann-Dennhardt
zum Urteil des Ersten Senats vom 3. März 2004
- 1 BvR 2378/98 - 1 BvR 1084/99 Wir stimmen dem Urteil unter C I nicht zu. Nach unserer Auffassung ist schon
Art. 13 Abs. 3 GG mit Art. 79 Abs. 3 GG nicht vereinbar und daher nichtig. Wohl aber
tragen wir die Entscheidung unter C II bis IX mit, soweit sie jedenfalls die gesetzlichen Normen, die die akustische Wohnraumüberwachung mit technischen Mitteln zu
Strafverfolgungszwecken regeln, für verfassungswidrig erklärt.
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I.
1. Art. 79 Abs. 3 GG verbietet Verfassungsänderungen, durch welche die in den
Art. 1 und Art. 20 GG niedergelegten Grundsätze berührt werden. Zu diesen Grundsätzen gehört auch der Schutz der privaten Wohnung als Lebensraum zur höchstpersönlichen Lebensgestaltung, der zur Aufrechterhaltung einer dem Gebot der Achtung
und des Schutzes der Menschenwürde entsprechenden Ordnung unverzichtbar ist.
Insoweit stimmen wir mit der Senatsmehrheit überein, die ebenfalls den Schutz der
Menschenwürde in der in Art. 13 Abs. 1 GG verbürgten Unverletzlichkeit der Wohnung verankert sieht. Denn zur Persönlichkeitsentfaltung bedarf es Rückzugsräume,
in denen der Einzelne ohne Angst vor Überwachung sich selbst zum Ausdruck bringen und mit Vertrauten über persönliche Ansichten und Empfindungen kommunizieren kann. Gerade in einer Welt, in der es technisch möglich geworden ist, so gut wie
jede Bewegung und Kommunikation einer Person zu verfolgen und aufzuzeichnen,
dient die Privatwohnung dem Einzelnen mehr denn je als letztes Refugium, in dem
sich die Freiheit seiner Gedanken unbeobachtet manifestieren kann. Sie ist damit als
Ort Mittel zur Wahrung der Menschenwürde.
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2. Auch ist der Mehrheitsmeinung zunächst darin Recht zu geben, dass der absolute Schutz, der der Privatwohnung verfassungsrechtlich zukommt, nur so weit reicht,
wie das in ihr ausgeübte Verhalten um der Menschenwürde willen geschützt ist: nicht
jede Äußerung in einer Privatwohnung hat höchstpersönlichen Charakter. Dort aber,
wo die Privatwohnung dem Ausdruck und Austausch persönlicher Empfindungen und
Meinungen dient, ist ihr Schutz zur Wahrung der Menschenwürde absolut.
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Allerdings ist es gerade wegen der Abgeschlossenheit einer Privatwohnung für einen Außenstehenden zunächst nicht erkennbar, ob zu einem bestimmten Zeitpunkt
in ihr höchstpersönliche Dinge oder aber solche zur Sprache kommen, die die Sphäre anderer oder Belange der Gemeinschaft berühren. Wie im Urteil ausgeführt, gibt
es für eine solche Unterscheidung lediglich Anhaltspunkte, die auf den Inhalt dessen
schließen lassen, was in der Wohnung stattfindet. So lässt sich bei Privatwohnungen
eher als bei Geschäftsräumen, bei Gesprächen mit eng Vertrauten eher als mit Geschäftspartnern oder Bekannten eine Situation vermuten, die dem höchstpersönli-
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