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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. März 2014

Staatsminister Michael Roth

(A) Mali, Südsudan oder Somalia in den Griff zu bekommen?
Eine Verengung der Diskussion auf die Frage der Militäreinsätze ist nicht nur sachlich falsch; sie zeugt auch
von einer zutiefst verzerrten Wahrnehmung unseres
Nachbarkontinents. Afrika als Kontinent der Gefahren
und Risiken – von diesem einfachen Bild müssen wir
uns lösen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU –
Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Wir reden
doch über einen Militäreinsatz!)
Trotz aller Probleme und Schwierigkeiten, die es weiterhin gibt, zeigt die Entwicklung der vergangenen
Jahre: Wir Europäerinnen und Europäer haben allen Anlass, unseren Blick mit etwas mehr Zuversicht in Richtung Afrika zu richten. Unser Blick wird realistischer,
wenn wir zur Kenntnis nehmen: Afrika ist auch ein Kontinent der Hoffnung, der Chancen und Potenziale. Deshalb lassen Sie uns heute bei der Entscheidung über das
Mandat für die Entsendung von
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Militär!)
deutschen Soldatinnen und Soldaten zur EU-Ausbildungsmission in Somalia nicht nur den sicherheitspolitischen Rahmen im Blick haben. Dieses Mandat ist vielmehr ein kleiner, aber wichtiger Baustein eines
Gesamtansatzes in der Afrikapolitik.
Afrika hat sich in den vergangenen Jahren viel schneller gewandelt als unser Blick von außen auf Afrika. Da(B) bei müssen wir uns bewusst sein: Der Kontinent, seine
Länder und Regionen entwickeln sich nicht nur mit zunehmender Dynamik, sondern auch in ganz unterschiedlicher Weise und Geschwindigkeit. Wir müssen lernen,
diese Entwicklungen und die damit verbundenen Chancen frühzeitig zu erkennen und in ihrer jeweiligen Eigenart zu erfassen.
So komplex die Ausgangslagen sind, so differenziert
sollten auch unsere Antworten sein. Wenn wir erfolgreich sein wollen, gilt es, das gesamte Instrumentarium
unserer Außenpolitik einzusetzen. Denn Fragen von
Politik und Sicherheit, von Wirtschaft und Gesellschaft
sind untrennbar miteinander verknüpft.
Frieden und Sicherheit sind zwingende Voraussetzungen für wirtschaftliche Entwicklung und Wohlstand. Das
Wachstum Afrikas in den vergangenen Jahren eröffnet
beachtliche wirtschaftliche Perspektiven für zahlreiche
Länder. Aber wir müssen auch dafür Sorge tragen, dass
der wirtschaftliche Aufschwung am Ende bei den Menschen ankommt. Mehr Arbeitsplätze, eine gerechte Einkommensverteilung und eine gesicherte Versorgung mit
Nahrungsmitteln, Wasser, Energie und Gesundheitsleistungen sind letztlich das beste Stabilitätsprogramm für
den ganzen Kontinent.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Es gibt, liebe Kolleginnen und Kollegen, aber eben
auch die Schattenseiten. Die Bundesregierung sieht mit
Sorge, wie in vielen – zu vielen – afrikanischen Staaten
Frauen, ethnische, religiöse oder sexuelle Minderheiten

teilweise unterdrückt und politisch verfolgt werden. (C)
Dazu dürfen und werden wir nicht schweigen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Unsere Auseinandersetzung mit Afrika darf deshalb
nicht in eine sicherheitspolitische Debatte heute, eine
entwicklungspolitische Debatte morgen und eine wirtschaftspolitische Debatte übermorgen zerfasern. Unser
vielseitiges Engagement für und in Afrika muss ineinandergreifen, wenn wir einen verantwortungsvollen Beitrag für mehr politische und wirtschaftliche Stabilität
leisten wollen.
Der vierte EU-Afrika-Gipfel, der im April 2014 in
Brüssel stattfindet, ist ein guter Anlass, um gemeinsam
mit unseren afrikanischen Partnern Bilanz zu ziehen und
neue Impulse für die Afrikapolitik zu vereinbaren. Es
wird eines der großen Projekte der Europäischen Union
in den kommenden Jahren sein, eine gemeinsame Strategie für Afrika zu entwickeln, die der Bedeutung unseres
Nachbarkontinents endlich gerecht wird. Unsere Kernanliegen sind eine fortschreitende Integration Afrikas
und die Förderung von sicherheitspolitischer Eigenverantwortung. Die Afrikanische Union spielt dabei eine
ganz zentrale Rolle.
Unsere Unterstützung beschränkt sich nicht auf das
Krisenmanagement, etwa durch finanzielle Unterstützung für die AU-Missionstruppen in Somalia oder durch
Hilfe beim Aufbau einer afrikanischen Friedens- und
Sicherheitsarchitektur. Um Frieden und Sicherheit dauerhaft zu sichern, brauchen wir mehr als reaktives Krisenmanagement. Noch viel wichtiger ist eine voraus- (D)
schauende Krisenprävention, damit politische Krisen
und gewaltsame Konflikte im besten Fall gar nicht erst
entstehen. Erfolgsbeispiele gibt es einige: die Einrichtung
von Frühwarnsystemen oder das Grenzmanagementprogramm der Afrikanischen Union, bei dem durch gemeinsame Grenzdemarkationslinien Konflikte hinsichtlich
des Grenzverlaufs ausgeräumt werden sollen. Krisenprävention betreiben wir aber auch, indem wir die restriktive Kontrolle von Kleinwaffen in Westafrika oder der
Sahelzone fördern.
Auch in Mali geht es uns nicht allein um die Ausbildung von Soldatinnen und Soldaten. Wir unterstützen
das Land bei einer umfassenden Reform des Sicherheitssektors. Die Kollegen haben ja recht: Niemand, weder
die Bundesverteidigungsministerin noch irgendjemand
anderes, hat hier behauptet, dass die Lage dort stabil und
sicher ist. Aber wir tun eine ganze Menge, um die Lebensverhältnisse der Menschen dort konkret zu verbessern. Die Reform des Sicherheitssektors spielt dabei eine
ganz entscheidende Rolle. An dieser Stelle will ich Mali
als ein positives Beispiel dafür nennen, dass wir unser
Engagement mit gutem Grund auf einzelne Länder konzentrieren: Langjährige Erfahrung, Vertrautheit mit den
Verhältnissen vor Ort und gegenseitiges Vertrauen sind,
wie im Fall Mali, eine gute Voraussetzung dafür, dass
unser Handeln am Ende von Erfolg gekrönt ist.
Staaten und Gesellschaften in Afrika gewinnen vielerorts an Stabilität. Rechtsstaatlichkeit, der Zugang zu Bildung und eine starke Zivilgesellschaft sind hierfür ganz

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