Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. März 2014
1875
Wolfgang Gehrcke
(A) sens sei nicht mehr gegeben, wäre es eine rechtliche
Position, zu sagen: Auf dieser Grundlage muss auch der
Bündnisfall beendet werden. Wir wollen von der deutschen Politik, dass festgestellt wird: Der Konsens zur
Fortführung des Bündnisfalles ist nicht mehr gegeben.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich will immer mit dem Kopf durch die Wand; das ist
schon okay. Manchmal muss man auch einen Umweg
suchen.
(Roderich Kiesewetter [CDU/CSU]: Durch die
Tür!)
– Ja, wenn eine da ist.
(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Es gibt doch eine!)
– Okay, darüber können wir uns gleich einigen.
Ich möchte Ihnen jetzt einen Vorschlag machen. Wie
wäre es, wenn die deutsche Bundesregierung für die
nächste NATO-Vollversammlung einen Antrag auf eine
Debatte darüber einbringen würde, den NATO-Bündnisfall dort zu beenden? Auch die Parlamentarische Versammlung der NATO kann sich mit diesem Thema
befassen, aber sie kann es nicht beschließen. Aber Sie
können vorangehen, auch wenn Sie unseren Vorschlag
für schlecht halten. Beantragen Sie für die nächste
NATO-Vollversammlung, die Beendigung des B��ndnisfalles zu debattieren! Das möchte ich gerne sehen.
(B)
Lassen Sie mich zum Schluss sagen – ich werde vielleicht auch schon gemahnt –: Mit diesem NATO-Generalsekretär werden Sie keinen Blumentopf gewinnen.
Wer jetzt in Europa in dieser Situation fordert, dass die
Militärausgaben steigen sollen, wer eine solch aggressive Politik betreibt, der schadet der NATO mehr, als ich
es je gekonnt hätte.
Danke sehr.
(Beifall bei der LINKEN)
Vizepräsidentin Petra Pau:
Der Kollege Roderich Kiesewetter hat nun für die
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Roderich Kiesewetter (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege
Gehrcke, Sie haben, wie so oft, eine Chance vertan.
Nicht dass Sie die Tür nicht gefunden haben und durch
die Wand wollten, sondern Sie haben die Chance vertan,
hier eindeutig klarzustellen, dass die Aggression nicht
von der NATO ausgeht, sondern von Russland. Sie haben die Chance vertan, hier eindeutig klarzustellen, wie
die Position der Linkspartei ist. Offensichtlich stehen Sie
für Aggression und für militärische Auslandseinsätze
des postsowjetischen Russlands. Das ist enttäuschend,
aber war auch nicht anders zu erwarten.
(Beifall bei der CDU/CSU – Wolfgang
Gehrcke [DIE LINKE]: Das glauben Sie nicht
im Ernst!)
(C)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sprechen heute
über den Antrag, den NATO-Bündnisfall zu beenden.
Ich möchte das kurz abhandeln und dann über die NATO
selbst sprechen. Wir sind uns, glaube ich, einig – der
Kollege Hitschler hat es angesprochen –, dass zu einer
solchen Änderung nicht nur die Bundesrepublik
Deutschland gehört, sondern alle 28 Mitglieder der NATO.
Wir wissen sehr genau, dass es mindestens zwei Bündnismitglieder gibt, die darauf bestehen, dass der Bündnisfall fortbesteht. Die Bundesregierung ist seit zwei
Jahren dabei, hier Überzeugungsarbeit zu leisten. Wir
werden sicherlich eine Änderung des Mandats bekommen, vorausgesetzt, wir erleben Entwicklungen, die uns
beruhigen, dass sich die NATO auch weiterhin vorrangig
um die kollektive und kooperative Sicherheit kümmern
kann.
Die NATO hat sich seit dem Lissabonner Abkommen,
dem neuen NATO-Vertrag von 2010, drei Aufgaben gewidmet: erstens der kollektiven Verteidigung, zweitens
der gemeinsamen Krisenbewältigung und drittens der
kooperativen Sicherheit. Gerade die Operation Active
Endeavour bietet die Chance zu einer Plattform für kooperative Sicherheit, weil viele Staaten des nördlichen
Afrikas daran mitwirken. Aber wir erleben in diesen Tagen auch, dass ein Land wie Polen erstmals in der Geschichte der NATO Art. 4 des Nordatlantikvertrags aufruft, nämlich Konsultationen innerhalb des Bündnisses.
(D)
Das muss uns mit Sorge erfüllen,
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ja!)
weil wir hier die Sicherheitsempfindungen unserer östlichen Nachbarn hautnah erleben. Was wir gerade mitbekommen, ist, dass Russland alles umstößt, was in den
letzten 15 Jahren aufgebaut wurde. Wir sehen Angstverbreitung, Beunruhigung und auch Vertrauensverlust, und
das bei Volksabstimmungen, die ohne Hoheitsabzeichen
quasi von einer Miliztruppe überwacht durchgeführt
werden und unter Verfassungsbruch und vor allen Dingen unter Bruch des Völkerrechts stattfinden.
Wir befinden uns derzeit in einer sehr großen, umfassenden strategischen Debatte darüber, wie es nach ISAF
und angesichts von Cyber-Bedrohungen weitergeht.
Wenn wir in solch einer strategischen Debatte innerhalb
der NATO solche Angebote russischerseits erleben müssen, werden wir zunehmend wieder unsere Fähigkeiten
mit Blick auf Art. 5 des Nordatlantikvertrags betrachten
müssen, damit wir in der Lage sind, Schutz zu bieten
und Vertrauen auszustrahlen.
Mitgliedschaft in der NATO ist etwas Freiwilliges.
Die Staaten, die nach dem Kalten Krieg die Mitgliedschaft gesucht haben, sind freiwillig zu uns gekommen
und fühlen sich in diesen Tagen bestärkt, dass sie hier einen sehr klugen Schritt für die Zukunft ihrer Gesellschaft gemacht haben.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)