Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. März 2014

(A)

Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE):

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Der Bundesinnenminister Thomas de
Maizière, der bei den Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst die Bundesregierung als Arbeitgeber vertritt, bezeichnet die Forderungen der Gewerkschaften als
– ich zitiere – „maßlos überzogen“.
Was ist denn so „maßlos überzogen“? Die Gewerkschaften fordern, die Entgelte um einen Sockelbetrag
von 100 Euro sowie um 3,5 Prozent zu erhöhen. Ist das
wirklich maßlos? Zum Vergleich: Derselbe Thomas de
Maizière hat hier am 21. Februar dieses Jahres dafür gestimmt, dass die Bezüge der Bundestagsabgeordneten
um 830 Euro auf 9 082 Euro im Monat ansteigen sollen.
(Zuruf von der LINKEN: Das ist nicht zu
glauben!)
Das ist eine Erhöhung von 10 Prozent. Ich frage mich,
ob der Bundesinnenminister diese Erhöhung für maßvoll
gehalten hat.
(Beifall bei der LINKEN)
Noch etwas: Damals war es für Union und SPD kein
Problem, diese Erhöhung in einer Woche durch das Parlament zu jagen. Den Beschäftigten im öffentlichen
Dienst haben Sie bis heute noch nicht einmal ein Angebot vorgelegt. Ich sage Ihnen: Sie genehmigen sich hier
im Haus Schampus, und den Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern im öffentlichen Dienst bieten Sie nicht
einmal eine Flasche Selters an.
(B)

(Dagmar Ziegler [SPD]: Wie billig!)
Das ist ungerecht.
(Beifall bei der LINKEN)
Dabei sind die Forderungen der Gewerkschaften
mehr als begründet. Wir haben hier in einzelnen Bereichen eine beschämende Entwicklung. In den zurückliegenden Jahren hat sich die Zahl der Beschäftigten in den
untersten Entgeltgruppen verfünffacht. Ich wiederhole:
verfünffacht! Hier liegt der Bruttomonatslohn eines
Vollzeitbeschäftigten im Schnitt bei 1 540 Euro und damit unterhalb der Niedriglohnschwelle. Für den öffentlichen Dienst eigentlich beschämend.
(Beifall bei der LINKEN)
Es geht darüber hinaus darum, dass der öffentliche
Dienst endlich wieder Anschluss an die allgemeine Einkommensentwicklung findet. Wenn diejenigen, die uns
mit dem Bus zur Arbeit fahren, die unsere Kinder betreuen, die unsere Eltern pflegen oder unseren Müll wegkarren, um höhere Löhne streiten, dann geht es auch darum, dass man über den Wert ihrer Arbeit diskutiert.
(Beifall bei der LINKEN)
Da sagen wir als Linke klar: Die Bundesregierung muss
im Arbeitgeberlager des öffentlichen Dienstes ein klares
Zeichen für kräftige Lohnerhöhungen setzen. Dafür setzen wir uns ein.
(Beifall bei der LINKEN)

1845

Als zweiten Punkt fordern die Gewerkschaften, die (C)
feste Übernahme der Auszubildenden tarifvertraglich zu
vereinbaren. Auch das ist absolut nachvollziehbar. Im
öffentlichen Dienst zu arbeiten, bedeutet schon heute
längst nicht mehr, dass man einen sicheren Job hat.
Insgesamt sind über 400 000 Kolleginnen und Kollegen
befristet beschäftigt. Bei den jüngeren Beschäftigten bis
30 Jahre hat inzwischen bereits jeder Vierte bis Fünfte
einen befristeten Arbeitsvertrag. Das ist unerträglich.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD,
ich verstehe nicht, was an diesen Forderungen maßlos
sein soll. Sollte es nicht selbstverständlich sein, dass im
öffentlichen Dienst und natürlich auch anderswo gute
Löhne gezahlt werden und die Menschen in sicheren
Arbeitsverhältnissen arbeiten? In den zurückliegenden
Jahren wurde im öffentlichen Dienst Raubbau betrieben.
Darunter leiden nicht nur die Beschäftigten, sondern
auch die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes. Hier
ist ein Kurswechsel dringend notwendig. Es ist klar, dass
ein guter öffentlicher Dienst nicht zum Nulltarif zu haben ist.
Von den Arbeitgebern war in den letzten Wochen
immer wieder dieselbe Leier zu hören: Es ist kein Geld
da. Die Kassen sind leer. Viele kommunale Haushalte
drücken enorme Schulden.
Die Arbeitgeber sagen aber nicht, dass seit Jahren die
Steuereinnahmen wieder steigen. Bis 2018 rechnet
die Bundesregierung sogar mit Mehreinnahmen von
109 Milliarden Euro. Sie verschweigen auch, dass erst
durch Ihre Steuersenkungen für Reiche und Unternehmen – von SPD, CDU/CSU; die Grünen waren auch da- (D)
bei; die FDP gibt es nicht mehr – enorme Löcher in die
öffentlichen Haushalte gerissen worden sind. Insgesamt
484 Milliarden Euro weniger haben Bund, Länder und
Gemeinden durch die massiven Steuersenkungen der
vergangenen 15 Jahre eingenommen. Das hat das Institut
für Makroökonomie und Konjunkturforschung der
Hans-Böckler-Stiftung errechnet. Ich wiederhole diese
Zahl: 484 Milliarden Euro sind einfach so verschüttgegangen.
Deshalb sagen wir: Niemand kann ernsthaft erwarten,
dass Busfahrer, Müllwerker, Erzieherinnen oder Altenpflegerinnen die Zeche für eine verfehlte Haushaltspolitik zahlen. Nein, statt Haushaltskonsolidierung auf dem
Rücken der Beschäftigten zu betreiben und Raubbau am
öffentlichen Dienst zu begehen, ist Umverteilung das
Gebot der Stunde.
(Beifall bei der LINKEN)
Allein eine fünfprozentige Vermögensteuer könnte
jährlich über 80 Milliarden Euro in die öffentlichen Kassen spülen. Für die Vermögensteuer haben Sie, liebe
Kolleginnen und Kollegen der SPD, im Wahlkampf noch
gestritten und gekämpft. Doch für die Macht haben Sie
das leider aufgegeben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD,
in den letzten Jahren sind die Reallöhne in Deutschland
wieder gesunken. Wir brauchen im Jahr 2014 eine
Lohnoffensive in Deutschland. Die Tarifrunde im öffentlichen Dienst kann hier ein Startschuss sein. Legen Sie

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