Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
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hörde des Vollstreckungsstaates soll nach dem Entwurf
sehr weitgehend verpflichtet sein, Daten aus ihren Datenbanken zu übermitteln sowie vorhandene Beweismittel zur
Verfügung zu stellen. Wenn die Strafprozessordnung den
Zugang beschränkt, etwa weil personenbezogene Daten
aus einer Telekommunikationsüberwachung nur bei Straftaten von besonderem Gewicht verwendet werden dürfen,
soll diese Einschränkung nach dem Entwurf wohl wegfallen. Dieser enthält jedenfalls – anders als die Strafprozessordnung – keine entsprechende Regelung. Nebulös ist die
umfassende
Verpflichtung,
Ermittlungsanordnungen
durchzuführen, „die keine Zwangsmaßnahmen sind“.
Noch ist der Entwurf der EEA-RL nicht beschlossen. Zurzeit finden weiter Verhandlungen auf politischer Ebene
statt. Ich erkenne an, dass sich die Bundesregierung bemüht, rechtsstaatliche Standards dadurch zu wahren, dass,
soweit wie möglich, das innerstaatliche Recht als Schranke
für zwischenstaatliche Übermittlungen gelten soll. Gleichwohl würde ich mir klarere Mindeststandards auf europäischer Ebene wünschen. Denn europäische Bürgerinnen
und Bürger sollten europaweit darauf vertrauen dürfen,
dass der Gesetzgeber ihre Grundrechte auch in den Richtlinien und Verordnungen ber��cksichtigt und diese entsprechend ausgestaltet. Eine Chance, einer zufrieden stellenden
Lösung näher zu kommen, bietet der in der Diskussion befindliche Entwurf einer EU-Richtlinie zum Datenschutz
bei Polizei und Justiz (vgl. Nr. 2.1.1).
K a s t e n z u N r. 2 . 2 . 1
Entschließung der 83. Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder
am 21./22. März 2012 in Potsdam
Europäische Ermittlungsanordnung darf
Grundrechtsgarantien nicht aushebeln
Zurzeit wird auf europäischer Ebene der Entwurf einer
Richtlinie über die Europäische Ermittlungsanordnung in
Strafsachen beraten. Diese hat massive Auswirkungen
auf den Grundrechtsschutz der Bürgerinnen und Bürger
in den EU-Mitgliedstaaten. Sie kann dazu führen, dass
der verfahrensrechtliche Schutzstandard bei strafprozessualen Maßnahmen europaweit auf niedrigstes Niveau
abgesenkt wird. So kann sie etwa zur Folge haben, dass
ein Mitgliedstaat für einen anderen Daten oder Beweismittel erhebt und diesem übermittelt, obwohl die Erhebung nach eigenem Recht nicht zulässig wäre.
Der Richtlinienentwurf verfolgt vorrangig das Ziel einer
weitgehenden gegenseitigen Anerkennung von Eingriffsentscheidungen der Strafverfolgungsbehörden,
ohne dass einheitliche Verfahrensgarantien geschaffen
werden. Dies wirft Probleme auf, wenn der Anordnungsstaat niedrigere Schutzstandards aufweist als der
Vollstreckungsstaat. Die Möglichkeiten der Mitgliedstaaten, eine entsprechende Anordnung eines anderen
Mitgliedstaates zurückzuweisen, sind nicht immer ausreichend. Eingriffsschwellen, Zweckbindungs- und Verfahrensregelungen müssen gewährleisten, dass die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen gewahrt werden.
Drucksache 17/13000
Eine effektive grenzüberschreitende Strafverfolgung im
vereinten Europa darf nicht zu Lasten des Grundrechtsschutzes der Betroffenen gehen. Die Anforderungen der
EU-Grundrechte-Charta sind konsequent einzuhalten.
Die Europäische Ermittlungsanordnung muss in ein
schlüssiges Gesamtkonzept zur Datenerhebung und -verwendung im Bereich der inneren Sicherheit und der
Strafverfolgung eingebettet werden, das die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger gewährleistet.
2.2.2
Europol-Analysedateien
Die Verarbeitung personenbezogener Daten in Analysedateien beim Europäischen Polizeiamt wurde datenschutzrechtlich geprüft.
In früheren Tätigkeitsberichten habe ich mehrfach über
die Aufgabe und Arbeitsweise des Europäischen Polizeiamtes (Europol) berichtet (vgl. zuletzt 23. TB Nr. 13.11).
2012 hat die die Gemeinsame Kontrollinstanz (GKI) von
Europol schwerpunktmäßig Dateien kontrolliert, die
Europol zu Analysezwecken errichtet hat. Ihr Kontrollbericht war bei Redaktionsschluss noch nicht öffentlich zugänglich. Kontrollberichte sind – wenn sie öffentlich zugänglich gemacht werden – auf der Internetseite der GKI
einsehbar: http://europoljsb.consilium.europa.eu/reports/
inspection-report.aspx?lang=de. Gleichwohl lässt sich
über die Funktionsweise und die datenschutzrechtliche
Problematik der Analysedateien einiges berichten.
Analysedateien werden zeitlich befristet für bestimmte
Phänomen- bzw. Deliktsbereiche (z. B. zur Bekämpfung
der organisierten Kriminalität oder des Terrorismus) eingerichtet. In ihnen verarbeitet Europol auch personenbezogene Daten, die aus den Europol-Mitgliedstaaten oder
aus Drittstaaten stammen. Dadurch sollen – auch für die
Behörden der Mitgliedstaaten – neue Erkenntnisse und
Ermittlungsansätze gewonnen werden.
Welche Daten unter welchen Voraussetzungen in den
Analysedateien verarbeitet werden dürfen, ist in dem Beschluss des Rates 2009/936/JI vom 30. November 2009
geregelt, der am 11. Dezember 2009 im Amtsblatt der
Europäischen Union (L325 S. 14 ff.) veröffentlicht
wurde. Verarbeitet werden danach nicht nur Daten von
Verdächtigen, sondern auch von Kontakt- und Begleitpersonen, Zeugen, Opfern und Informanten bzw. Hinweisgebern. Die richtige Zuordnung eines Betroffenen zu diesen
Personengruppen ist von maßgebender Bedeutung.
Nach dem o. g. Beschluss sind Kontakt- und Begleitpersonen solche Personen, bei denen ausreichende Gründe
für die Annahme bestehen, dass über sie Informationen
über (potentielle) Straftäter oder Verdächtige beschafft
werden können, die für die Analyse relevant sind. Eine
„Kontaktperson“ ist daher, wer mit einer dieser Personen
sporadisch in Kontakt steht – gleichgültig warum. Bei regelmäßigem Kontakt ist man nach der Definition des Beschlusses eine „Begleitperson“.
Zu Kontakt- und Begleitpersonen in diesem Sinne dürfen
auch sehr weitgehende – höchstpersönliche – Daten ge-
BfDI 24. Tätigkeitsbericht 2011-2012