Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
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§ 93 Absatz 8 Satz 2 AO eine weitere Öffnungsklausel
geschaffen, wonach ein Kontenabruf in anderen Fällen
erfolgen darf, wenn dies durch Bundesgesetz ausdrücklich zugelassen ist, sodass ab dem 1. Januar 2013 auch
Gerichtsvollzieher ein Ersuchen stellen können (vgl.
§ 802l Zivilprozessordnung). Es ist daher zu erwarten,
dass auch andere öffentliche Stellen bald ihr Interesse anmelden werden.
Diese Ausdehnung ist schon deswegen kritisch zu sehen,
weil die Zugriffsmöglichkeiten ursprünglich für die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) und
die Strafverfolgungsbehörden vor dem Hintergrund der
Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung geschaffen worden sind. Ursprünglich verfolgtes Ziel war die Austrocknung der Finanzströme des Terrorismus. Die nunmehr verfolgten Zwecke stehen hiermit in keiner Verbindung und
sind in ihrer Wertigkeit auch nicht mit der Terrorismusbekämpfung gleichzusetzen. Wenn bereits zum Zeitpunkt
der Kontoeröffnung die Kontostammdaten automatisch
als Datensatz gespeichert und dieser durch das Kontenabrufverfahren verfügbar gemacht werden kann, erfolgt
letztlich eine anlasslose Erfassung grundsätzlich aller
Kontoinhaber in Deutschland. Da somit der Datensatz bereits vorliegt, obwohl noch keine Erklärungspflicht des
Steuerpflichtigen besteht, ist von einer erheblichen Eingriffsintensität auszugehen, die weit über die ursprünglichen Absichten des Gesetzgebers hinaus das Recht auf informationelle Selbstbestimmung tangiert.
9.6
Datenpannen bei der Finanzagentur
Die Finanzagentur versandte fast 12 000 fehlerhafte Jahreskontoauszüge von Gemeinschaftskonten. Mindestens
169 Jahreskontoauszüge inkl. der Jahressteuerbescheinigungen 2011 gingen auf dem Postweg verloren.
Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) als Fachaufsicht und die Bundesrepublik Deutschland Finanzagentur GmbH (Finanzagentur) unterrichteten mich darüber, dass ihnen aufgrund von Kundenrückmeldungen zu
bei der Finanzagentur geführten Gemeinschaftskonten
11 965 Fälle bekannt geworden seien, in denen Jahreskontoauszüge 2011 mit falsch ausgewiesener Eigentumsquote zugesandt bzw. Eigentumsquoten auf den Jahreskontoauszug anderer Kunden gedruckt worden waren.
Die Finanzagentur will als Konsequenz ihre internen
Richtlinien dahingehend ändern, dass neue Komponenten
in ihren IT-Systemen besser getestet, interne Zuständigkeiten neu geordnet und zusätzliche Kontrollen eingeführt werden. Die Empfänger der fehlerhaften Jahreskontoauszüge wurden von der Finanzagentur inzwischen
über den Fehler aufgeklärt und um Vernichtung des fehlerhaften Jahreskontoauszugs bzw. um Rücksendung in
einem beigelegten Rückumschlag an die Finanzagentur
gebeten.
Wie mich die Finanzagentur weiter informierte, haben
sich bei ihr bis Ende August 2012 169 Kunden gemeldet,
die keinen Jahreskontoauszug 2011 erhalten hatten. Es sei
deshalb davon auszugehen, dass jedenfalls in den gemeldeten Fällen versandte Jahreskontoauszüge inkl. der Jah-
Drucksache 17/13000
ressteuerbescheinigungen 2011 auf dem Postweg verloren gegangen sind. Der Finanzagentur liegen keine
Hinweise vor, die verlorenen Sendungen könnten in die
Hände Dritter gelangt sein. Sie gibt die gedruckten und
kuvertierten Briefsendungen an ihren Postdienstleister,
der die weitere Verteilung der Sendungen über seine
Briefzentren veranlasst. In einer Vielzahl der bekannten
Verlustfälle haben die Empfänger außerhalb von dessen
Einzugsbereich gewohnt. Dieser habe die Briefe deswegen an einen anderen Postdienstleister weitergereicht.
Weitergehende Nachforschungen bei dem anderen Postdienstleister seien nicht möglich, da die Sendungen als
Standardbriefe versandt worden seien. Im Rahmen der
Neuausschreibung der Postdienstleistung will die Finanzagentur zur Minimierung von Zustellungsverlusten die
Qualitätsanforderungen an die Ausschreibungsteilnehmer
weiter präzisieren.
Das BMF und die Finanzagentur haben mich in den geschilderten Fällen aktiv informiert und meine Rückfragen
zeitnah und umfassend beantwortet. Aufgrund der geführten Gespräche und der Stellungnahmen kann davon
ausgegangen werden, dass die Finanzagentur in Abstimmung mit mir und ihrer Fachaufsicht das jeweils Erforderliche zur Schadensbegrenzung getan und geeignete
Konsequenzen gezogen hat, um weitere Falschversendungen zu unterbinden. Aus den genannten Gründen habe
ich in den geschilderten Fällen von einer formellen Beanstandung nach § 25 BDSG abgesehen. Ich werde das Verfahren weiterhin kritisch begleiten.
9.7
Zoll im Reality-TV?
Die Kontrolleinheit Verkehrswege (KEV) eines Hauptzollamtes (HZA) hat mehrere von einem Fernsehsender
ausgestrahlte Produktionen einer Reality-TV-Sendung
unterstützt, ohne den Schutz der Persönlichkeitsrechte
der Betroffenen sicherzustellen.
Ein Petent machte mich auf mehrere von einem Fernsehsender ausgestrahlte Beiträge einer Reality-TV-Sendung
aufmerksam, die mit Unterstützung der KEV eines HZA
produziert worden waren und in denen es um Zigarettenund Rauschgiftschmuggel sowie um Fälle mit waffenrechtlichem Hintergrund ging. Dabei wurden die betroffenen Privatpersonen in negativen Situationen – wenn auch
verfremdet – dargestellt. Die Drehgenehmigungen wurden der Produktionsfirma von der dem HZA vorgesetzten
Bundesfinanzdirektion (BFD) unter Hinweis auf datenschutzrechtliche Vorschriften und die Persönlichkeitsrechte
der Betroffenen erteilt. Soweit Bild- und Tonaufnahmen
von Zollbeamten/innen oder beteiligten Dritten gemacht
würden, sei zur Wahrung der Persönlichkeitsrechte deren
vorherige Zustimmung einzuholen. Hinweise, die eine
Identifizierung von Personen ermöglichten, seien auf geeignete Weise (z. B. Pixeln) zu anonymisieren.
Die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder
hatten auf ihrer 78. Konferenz am 8./9. Oktober 2009 die
Mitwirkung von Behörden an „Reality-TV“-Reportagen
nicht vollständig abgelehnt, jedoch von der Erfüllung der
in der Erklärung genannten Grundsätze zum Schutz der
Persönlichkeitsrechte der Betroffenen abhängig gemacht
BfDI 24. Tätigkeitsbericht 2011-2012