Drucksache 16/12600
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
– Für die Verkehrsdatenabfrage sollten (nach dem Vorbild der Regelungen für die akustische Wohnraumüberwachung) qualifizierte Begründungspflichten in der StPO vorgesehen werden. Dabei sollten auch die Rechtsfolgen
für erhebliche Verstöße gegen die Begründungsanforderungen gesetzlich geregelt werden (z. B. Beweisverwertungsverbote). Wesentliche Kritikpunkte der Studie waren insbesondere die lediglich formelhafte Wiedergabe des
Gesetzestextes sowie die häufig wörtliche Übernahme der staatsanwaltschaftlichen Anträge in den Begründungen.
– Zur Vermeidung von Rechtsunsicherheit und zur Stärkung des Richtervorbehalts sollte in den Fällen staatsanwaltschaftlicher Eilanordnung die Verwertbarkeit der erlangten Daten davon abhängig gemacht werden, dass ein Gericht rückwirkend die formelle und materielle Rechtmäßigkeit der Maßnahme feststellt. Dem Gutachten zufolge
besteht insbesondere bei den Telekommunikationsunternehmen Unsicherheit, inwieweit sie zur Herausgabe der
Verkehrsdaten verpflichtet sind, wenn eine staatsanwaltschaftliche Eilanordnung nicht innerhalb der gesetzlichen
Frist richterlich bestätigt wird.
– Der tatsächliche Nutzen der Vorratsdatenspeicherung für die Strafverfolgung und damit die Erforderlichkeit der
Maßnahme müssen in Frage gestellt werden. Bereits bei der früheren Höchstspeicherdauer von 3 Monaten waren
nach der Studie 98 Prozent der Abfragen erfolgreich.
Auch in der praktischen Anwendung der Regelungen zur Verkehrsdatenabfrage hat die Studie Defizite deutlich gemacht. Die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder appellieren daher auch an die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte, aus dem Gutachten Konsequenzen zu ziehen. Besonderes Augenmerk ist vor allem auf die Prüfung der Angemessenheit der Maßnahme zu richten. Dies muss auch in substantiierten Begründungen zum Ausdruck
kommen. Die gesetzlich festgeschriebenen, dem Grundrechtsschutz dienenden Benachrichtigungs-, Löschungs- und
Dokumentationspflichten müssen – trotz hoher Belastungen in der Praxis – unbedingt eingehalten werden. Der Richtervorbehalt muss seine grundrechtssichernde Funktion effizient erfüllen können. Die Justizverwaltungen sind in der
Verantwortung, hierfür ausreichende personelle Ressourcen zur Verfügung zu stellen.
Eine Fortführung der wissenschaftlichen Evaluation der Verkehrsdatenabfrage ist – unter den neuen rechtlichen Rahmenbedingungen und aufgrund der Weiterentwicklung der Technik – unerlässlich. Insbesondere sollten dabei Notwendigkeit und Nutzen der Verkehrsdatenabfrage – auch im Vergleich zu anderen möglichen Maßnahmen – mit Blick
auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auf den Prüfstand gestellt werden.
5.2
Bundesmeldegesetz – Zentralregister
als zentrales Problem
Das BMI hat einen Referentenentwurf zum Bundesmeldegesetz (BMG) mit einem zentralen Bundesmelderegister
(BMR) vorgelegt. Der Bedarf für ein zusätzliches umfangreiches zentrales Melderegister auf Bundesebene ist jedoch nicht belegt. Unabhängig davon muss die datenschutzrechtliche Position der Meldepflichtigen insgesamt
verbessert werden.
Das Meldewesen ist einer der wenigen Bereiche der öffentlichen Verwaltung, der – von geringen Ausnahmen abgesehen – Daten über alle Bewohner des Bundesgebietes sammelt und für administrative Zwecke zur Verfügung stellt.
Schon aus diesem Grunde hatte bereits der erste Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Professor Dr. Hans-Peter
Bull, in seiner gutachterlichen Stellungnahme vom
15. Oktober 1978 (abrufbar unter www.bfdi.bund.de) die
hohe datenschutzrechtliche Bedeutung des Meldewesens
herausgestellt und datenschutzrechtliche Forderungen geltend gemacht, die größtenteils in das Melderechtsrahmengesetz vom 16. August 1980 (BGBl. I 1980 S. 1429) Eingang fanden (vgl. 1. TB Nr. 3.2.2; 2. TB Nr. 2.1.4). Die
seinerzeitigen Kernforderungen haben angesichts der heutigen informationstechnischen Möglichkeiten ein Vielfaches an Bedeutung gewonnen:
– Beschränkung der Aufgaben der Meldebehörden auf
den Identitätsnachweis,
– schlanker, gesetzlich festgelegter Merkmalskatalog,
BfDI 22. Tätigkeitsbericht 2007-2008
– strenge Zweckbindung der über die Grunddaten hinausgehenden Angaben,
– gesetzlich festgelegte Betroffenenrechte (gebührenfreie Auskunft, Berichtigung, Löschung, Unterrichtung über die Erteilung sog. erweiterter Auskünfte,
Übermittlungs- und Auskunftssperren).
Die Begleitung der Erarbeitung des Referentenentwurfs
eines BMG mit Schaffung eines BMR durch das BMI
stellte daher einen Schwerpunkt meiner Arbeit im Berichtszeitraum dar. Hierbei verfolge ich das Ziel, den erreichten Datenschutzstandard bei der Neuordnung des
Meldewesens nicht nur zu erhalten, sondern unter Nutzung moderner Technologien noch deutlich zu verbessern.
Mit der Föderalismusreform des Jahres 2006 war dem
Bund die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz für
das Meldewesen übertragen worden. Das BMI hatte daraufhin einen Entwurf eines BMG angekündigt (vgl.
21. TB Nr. 7.3). Gemeinsam mit den Datenschutzbeauftragten der Länder habe ich in einem Eckpunktepapier datenschutzrechtliche Anforderungen an ein solches Gesetz
formuliert (vgl. Kasten zu Nr. 5.2). Der vom BMI im
April 2008 vorgelegte Referentenentwurf sieht eine
umfassende Neuregelung des Meldewesens und die Einrichtung eines BMR vor. Die datenschutzrechtlichen Forderungen blieben dabei bisher leider weitgehend unberücksichtigt.