Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
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Die gesetzliche Grundentscheidung, in einem „Führungszeugnis“ dem Arbeitgeber nur ganz bestimmte justizielle Informationen zu einer Person verfügbar zu machen, wird dadurch unterlaufen. Es stellt einen
Dammbruch dar, wenn jeder Arbeitgeber durch weitere
Informationen direkt oder indirekt an dem Wissen der
Sicherheitsbehörden und Nachrichtendienste teilhaben
kann. Die Übermittlung dieser Informationen an Arbeitgeber kann auch den vom Bundesarbeitsgericht zum
„Fragerecht des Arbeitgebers“ getroffenen Wertentscheidungen widersprechen. Danach darf der Arbeitgeber die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei der
Einstellung nach Vorstrafen und laufenden Ermittlungsverfahren fragen, wenn und soweit die Art des zu besetzenden Arbeitsplatzes dies erfordert.
Polizei und Nachrichtendienste speichern – neben den
in ein „Führungszeugnis“ aufzunehmenden Daten –
auch personenbezogene Daten, die in das Bundeszentralregister gar nicht erst eingetragen werden oder Arbeitgebern in einem „Führungszeugnis“ nicht übermittelt
werden dürfen. Es stellt eine grundsätzlich unzulässige
Durchbrechung des Zweckbindungsgrundsatzes dar, wenn
ein Arbeitgeber diese Daten – über den Umweg über die
Polizei oder einen Nachrichtendienst – für Zwecke der
Personalverwaltung erhält. Dabei ist besonders zu beachten, dass polizeiliche oder nachrichtendienstliche
Daten nicht zwingend gesicherte Erkenntnisse sein müssen, sondern oftmals lediglich Verdachtsmomente sind.
Die Folgen von Missdeutungen liegen auf der Hand.
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Rechtswesen und Innere
Verwaltung
5.1
Telekommunikationsüberwachung und
andere heimliche Ermittlungsmaßnahmen nach der StPO
Die Neuregelung der strafprozessualen Telekommunikationsüberwachung und anderer heimlicher Ermittlungsmaßnahmen enthält zwar einige zusätzliche grundrechtliche Sicherungen, weist aber auch erhebliche
datenschutzrechtliche Defizite auf. Eine Studie des MaxPlanck-Instituts belegt Nachbesserungsbedarf bei der Abfrage von Verkehrsdaten der Telekommunikation.
Im 21. TB (Nr. 6.1) hatte ich über den vom BMJ vorgelegten Referentenentwurf zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen in der StPO (sowie zur Umsetzung der
Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung, vgl. dazu
Nr. 3.2.1) berichtet. Die Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder hat die datenschutzrechtlichen Bedenken, die insbesondere den nicht
ausreichenden Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung und der Berufsgeheimnisträger sowie zu niedrige Eingriffsschwellen für verdeckte Ermittlungsmaß-
Drucksache 16/12600
nahmen betrafen, in einer Entschließung vom 8./9. März
2007 bekräftigt (vgl. Kasten a zu Nr. 5.1).
Das BMJ hat diese Einwände – mit Ausnahme der Forderung, für Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung nicht ein auf Strafverfahren begrenztes,
sondern ein absolutes Verwertungsverbot vorzusehen –
leider nicht berücksichtigt. Der von der Bundesregierung
im April 2007 beschlossene Gesetzentwurf enthielt – verglichen mit dem Referentenentwurf – sogar noch datenschutzrechtliche Verschlechterungen. So wurde insbesondere der Anwendungsbereich des sog. IMSI-Catchers zur
Ortung von Mobiltelefonen (§ 100i StPO) erheblich ausgeweitet, obwohl dieses Instrument unter Umständen eine
Vielzahl unbeteiligter Personen betrifft und das BVerfG
den Gesetzgeber ausdrücklich zur Prüfung aufgerufen
hatte, ob und in welchem Umfang von einer neuerlichen
Ausdehnung heimlicher Ermittlungsmethoden im Hinblick auf Grundrechtspositionen unbeteiligter Dritter Abstand zu nehmen ist (Beschluss vom 22. August 2006,
2 BvR 1345/03, vgl. hierzu auch 21. TB Nr. 6.1). Ich bedauere sehr, dass auch im Rahmen der parlamentarischen
Beratungen keine substantiellen Verbesserungen erreicht
wurden. Im Gegenteil hat der Bundestag sogar noch Änderungen beschlossen – etwa wurde die maximale Anordnungsdauer von Telekommunikationsüberwachungen nun
doch nicht von drei auf zwei Monate reduziert –, welche
die verfahrensrechtlichen Schutzvorkehrungen des Regierungsentwurfs wieder verwässern.
Gegen die am 1. Januar 2008 in Kraft getretenen
(BGBl. I 2007 S. 3198) Neuregelungen der StPO sind
mehrere Verfassungsbeschwerden anhängig. Eilanträge
auf Aussetzung bestimmter dieser Vorschriften hat das
BVerfG zwar abgelehnt, jedoch betont, dass die aufgeworfenen Fragen einer umfassenden Prüfung im Hauptsacheverfahren bedürfen und insoweit als offen angesehen
werden können (Beschluss vom 15. Oktober 2008,
2 BvR 236/08, 2 BvR 237/08). Ich sehe den Entscheidungen des BVerfG mit großem Interesse entgegen.
Im Februar 2008, also erst nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens zur Neuregelung der heimlichen Ermittlungsmaßnahmen, hat das BMJ eine Studie des MaxPlanck-Instituts für ausländisches und internationales
Strafrecht in Freiburg zur „Rechtswirklichkeit der Auskunftserteilung über Telekommunikationsverbindungsdaten nach §§ 100g, 100h StPO“ veröffentlicht (Bundestagsdrucksache 16/8434). Das Gutachten bestätigt die
datenschutzrechtliche Kritik an der Ausgestaltung der
Verkehrsdatenabfrage zu Strafverfolgungszwecken. Die
Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und
der Länder hat die maßgeblichen Ergebnisse der Studie
und die hieraus von Gesetzgeber und Praxis zu ziehenden
Konsequenzen in einer Entschließung vom 6./7. November 2008 im Einzelnen dargestellt (vgl. Kasten b zu
Nr. 5.1). Ich appelliere an die Bundesregierung, die Regelung des § 100g StPO unter diesen Aspekten zügig nachzubessern.
BfDI 22. Tätigkeitsbericht 2007-2008