Drucksache 16/12600

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4.3.2.2 Speicherung Strafunmündiger in INPOL
In einigen Verbunddateien des polizeilichen Informationssystems INPOL sollen künftig auch personenbezogene Daten von Strafunmündigen gespeichert werden.
Dies begegnet datenschutzrechtlichen Bedenken.
In den Verbunddateien „Kriminalaktennachweis – KAN“
und „Analyse-System zur Verknüpfung von Gewaltverbrechen – ViCLAS“ des polizeilichen Informationssystems INPOL sollen künftig auch personenbezogene
Daten von Strafunmündigen, d. h. von Kindern unter
14 Jahren, als sog. sonstige Personen gemäß § 8
Absatz 5 BKA-Gesetz gespeichert werden (s. Kasten zu
Nr. 4.3.2.2).
Das BKA hält die Speicherung Strafunmündiger dann für
erforderlich, wenn von ihnen schwere Gewalttaten verübt
werden und die dabei gezeigte kriminelle Energie die Annahme rechtfertigt, dass sie auch bei Eintritt der Strafmündigkeit Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen werden.
Im Rahmen des Anhörungsverfahrens zu den Errichtungsanordnungen habe ich Zweifel an der Zulässigkeit
der Speicherung geäußert. Strafrechtlich resultiert aus der
Strafunmündigkeit ein Schuldausschließungsgrund, der
wiederum zu einem Prozesshindernis führt, das die Strafverfolgungsbehörden zur Verfahrenseinstellung zwingt
bzw. gänzlich daran hindert, Ermittlungsmaßnahmen
durchzuführen. Auf der anderen Seite führt die Strafunmündigkeit einer Person nicht zu einer Einschränkung der
Gefahrenabwehrbefugnis nach dem Polizeirecht. Gefahren können in gleicher Weise von strafmündigen wie von
strafunmündigen Personen verursacht werden, so dass
Gefahrenabwehrmaßnahmen auch gegen Letztere zulässig sind. Die Speicherung personenbezogener Daten in
INPOL gemäß § 8 BKA-Gesetz dient jedoch nicht der
Abwehr unmittelbar bevorstehender Gefahren. Die Daten
sollen vielmehr im Vorfeld einer Gefahr zur Straftatenverhütung und zur Vorsorge für die Verfolgung künftiger
Straftaten vorgehalten werden. Vor diesem Hintergrund
ist fraglich, ob hierfür Daten von Kindern, denen die Einsichtsfähigkeit für die von ihnen begangenen Handlungen
fehlt und die sich noch im Anfang ihrer geistigen und seelischen Entwicklung befinden, geeignet sind. Dabei ist zu
berücksichtigen, dass zum Zeitpunkt der Speicherung
nicht absehbar ist, wie sich die kindliche Entwicklung
fortsetzen wird.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

ner Daten Strafunmündiger dar. Nach der Gesetzesbegründung bezieht sich die Regelung auf strafmündige
Personen, bei denen bisher ein konkreter Tatverdacht
nicht vorliegt, bei denen aber aufgrund tatsächlicher Erkenntnisse eine spätere Straftatenbegehung prognostiziert
werden kann. Strafunmündige unter diese Norm zu subsumieren, nur weil sie wegen der strafprozessualen Beschränkung weder als „Beschuldigte“ noch als „Verdächtige“ erfasst werden können, ist vom gesetzgeberischen
Willen nicht gedeckt.
Ich bedaure, dass das BMI meinen Bedenken nicht gefolgt ist. Nach Abschluss des Beteiligungsverfahrens mit
den Ländern sind die geänderten Errichtungsanordnungen
für die genannten Dateien vom BMI erlassen worden.
K a s t e n zu Nr. 4.3.2.2
§ 8 Absatz 5 BKA-Gesetz
(5) Personenbezogene Daten sonstiger Personen kann
das Bundeskriminalamt in Dateien speichern, verändern
und nutzen, soweit dies erforderlich ist, weil bestimmte
Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die betroffenen Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen
werden.
4.3.2.3 Noch immer keine Rechtsverordnung
gemäß § 7 Absatz 6 BKAG
Mit der Rechtsverordnung gemäß § 7 Absatz 6 BKAG hat
das BMI das Nähere über die Art der Daten, die in
INPOL gespeichert werden dürfen, festzulegen.
Mit Urteil vom 16. Dezember 2008 (11 LC 228/08) hat
das niedersächsische Oberverwaltungsgericht das Urteil
des Verwaltungsgerichts Hannover vom 22. Mai 2008
(10 A 2412/07) bestätigt, dass die Führung der INPOLVerbunddatei „Gewalttäter Sport“ durch das BKA nur
dann rechtmäßig ist, wenn das BMI durch Rechtsverordnung gemäß § 7 Absatz 6 BKAG das Nähere über die Art
der Daten bestimmt, die in dieser Datei gespeichert werden dürfen. Das Urteil ist nicht nur für die Rechtmäßigkeit der Hooligan-Datei bedeutsam, sondern kann Auswirkungen auf alle im Rahmen von INPOL geführten
Verbunddateien haben.

Wegen dieser Unsicherheit in der Prognosestellung besteht die Gefahr, dass „Jugendsünden“ über einen längeren Zeitraum in Polizeidaten als „kriminelle Historie“ abgebildet werden. Diese Gefahr hat offenbar an anderer
Stelle auch der Gesetzgeber gesehen. Gemäß § 11
Absatz 1 Satz 2 BVerfSchG ist es dem Bundesamt für
Verfassungsschutz, welches ebenfalls im Vorfeld konkreter Gefahrenlagen tätig wird und zu diesem Zweck personenbezogene Daten erheben und verarbeiten darf, untersagt, Daten von Minderjährigen vor Vollendung des
16. Lebensjahres in Dateien zu speichern.

Im Rahmen der Anhörungsverfahren zu Errichtungsanordnungen für Verbunddateien des polizeilichen Informationssystems INPOL habe ich immer wieder das Fehlen
der entsprechenden Rechtsverordnung moniert. Die Auffassung des BMI, wonach die Rechtsverordnung keine
Zulässigkeitsvoraussetzung für die Datenverarbeitung in
den Verbunddateien sei, sondern im Hinblick auf die übrigen Regelungen des BKA-Gesetzes nur deklaratorische
Bedeutung habe, wird weder durch den Wortlaut der einschlägigen Regelungen noch durch die Gesetzesmaterialien zum BKA-Gesetz gestützt.

Schließlich stellt § 8 Absatz 5 BKA-Gesetz keine normenklare Regelung für die Speicherung personenbezoge-

Eine nähere Bestimmung der Art der Daten, die in Verbunddateien verarbeitet werden dürfen, erfolgt durch das

BfDI 22. Tätigkeitsbericht 2007-2008

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