Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
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mittelt werden müssen. Positiv hervorzuheben ist, dass
die Daten ausdrücklich nur zur polizeilichen Kontrolle
des grenzüberschreitenden Verkehrs und der Verfolgung
der in diesem Zusammenhang begangenen Straftaten verwendet werden dürfen und sowohl bei den Beförderungsunternehmen als auch bei der Bundespolizei binnen
24 Stunden nach Erhebung bzw. Übermittlung gelöscht
werden müssen. Die Handhabung des Gesetzes in der
Praxis bedarf allerdings noch der datenschutzrechtlichen
Überprüfung. Dabei wäre auch festzustellen, inwieweit
die Bundespolizei entsprechend der eigenen Aussage nur
bei bestimmten „risikobehafteten Flugrouten“ die Fluggastdaten erheben wird.
13.6
Listen der Vereinten Nationen und der
Europäischen Union über Terrorverdächtige
Die von den Vereinten Nationen (VN) erstellten Listen
über terrorverdächtige Personen und Organisationen, die
auch in EU-Recht umgesetzt worden sind, widersprechen
elementaren rechtsstaatlichen Anforderungen. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom
3. September 2008 hat dies im Wesentlichen bestätigt.
Von Vertretern der Medien und der Wirtschaft bin ich immer wieder auf die gravierenden Menschenrechtsprobleme angesprochen worden, die sich für den einzelnen
aus der Aufnahme von Betroffenen in die sog. Terrorlisten der VN bzw. der EU ergeben. Grundlage hierfür bilden Resolutionen der VN, nach denen der VN-Sanktionsausschuss Listen mit unter Terrorverdacht stehenden
natürlichen und juristischen Personen und Organisationen
aufstellt. Die EU setzt die Listen sowie die daran geknüpften Sanktionsmaßnahmen mittels EG-Verordnungen (VO (EG) Nr. 2580/2001, VO (EG) Nr. 561/2003)
um.
Personen, die auf diesen Listen erscheinen, unterliegen
umfangreichen Beschränkungen, die von Wirtschaftsund Finanzsanktionen über Einreiseverbote bis hin zum
Einfrieren ihrer Gelder und anderer Vermögenswerte reichen. Ein Eintrag in die Listen greift damit nicht nur in
das informationelle Selbstbestimmungsrecht ein. Er kann
darüber hinaus gravierende existenzielle Folgen haben,
wie z. B. die Verweigerung von Sozialleistungen.
Die VN- bzw. EU-Terrorlisten und das Verfahren zu ihrer
Aufstellung sehe ich unter verschiedenen Aspekten äußerst kritisch. Fraglich ist schon, ob diese Listen überhaupt geeignet sind, Geldströme, mit denen terroristische
Aktivitäten finanziert werden sollen, aufzudecken oder zu
stoppen. Hierzu liegt seitens der VN bisher keine Bewertung vor. Zum anderen ist das Listing-Verfahren für die
Betroffenen nicht transparent. So sind die VN-Mitgliedstaaten zur Anmeldung entsprechender Fälle verpflichtet.
Nach welchen Voraussetzungen dies in den einzelnen
Ländern geschieht, ist aber nicht bekannt. Zweifel bestehen insbesondere, ob hierbei überall rechtsstaatliche Kriterien zugrunde gelegt werden. Aufgrund der teilweise
nur rudimentären Angaben zu den Personen in den „Terrorlisten“ besteht zudem die Gefahr von Verwechslungen.
Drucksache 16/12600
Auch in Deutschland ist es zu solchen Fällen gekommen.
So hatte z. B. das Job-Center Berlin-Neukölln aufgrund
einer Verwechslung die Zahlung an einen Empfänger von
Arbeitslosengeld II, der im Verdacht stand, mit einer auf
der „Terrorliste“ aufgeführten Person identisch zu sein,
für zwei Monate eingestellt. Besonders kritisch ist zu
werten, dass gegen die Aufnahme in die Listen kein ausreichender Rechtsschutz besteht. Zwar kann beim VNSanktionsausschuss auf entsprechenden Antrag der betroffenen Person unter Einschaltung der nationalen Regierung eine Prüfung des Listeneintrages herbeigeführt
werden. Unmittelbarer Rechtsschutz gegen Maßnahmen
des VN-Sanktionsausschusses steht dem Betroffenen aber
nicht zur Verfügung.
Vor dem Hintergrund dieser Defizite hat die Konferenz
der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder
bereits am 16./17. März 2006 in einer Entschließung die
Bundesregierung aufgefordert, bei den VN und der EU
auf die Einhaltung der rechtsstaatlich gebotenen Standards zu dringen (abrufbar auf meiner Website unter
www.bfdi.bund.de). Auch der EuGH hat sich mehrfach mit
dem Listing-Verfahren befasst. Mit seinen Urteilen vom
12. Dezember 2006 (T-228/02) und vom 11. Juli 2007
(T-327/03) hat das Europäische Gericht erster Instanz die
Aufnahme des Klägers in die vom Rat erstellten Listen
jeweils für nichtig erklärt. Auch das jüngste Grundsatzurteil des EuGH vom 3. September 2008 (C-402/05P und
C-415/05P) kommt zu dem Ergebnis, dass die EG-Verordnungen, mit denen die VN-Liste in EU-Recht überführt werden, wegen Verstoßes gegen das Grundrecht auf
effektiven gerichtlichen Rechtsschutz und das Grundrecht
auf Eigentum nichtig seien. Nach seiner Auffassung
müsse die Aufnahme von Personen und Organisationen in
die „Terrorlisten“ der EU begründet und die Begründung
den Betroffenen mitgeteilt werden. Nur so könnten diese
in die Lage versetzt werden, darüber zu entscheiden, ob
sie gerichtlichen Rechtsschutz gegen den Listeneintrag in
Anspruch nehmen wollen.
Ich begrüße es, dass auf EU-Ebene ein Verfahren verabschiedet wurde, wonach gelistete Personen über die Aufnahme in die Listen informiert werden müssen, ihnen auf
Antrag die Gründe für das Listing mitzuteilen sind und
ihnen die Möglichkeit eingeräumt werden muss, dem Rat
Unterlagen zu ihrer Entlastung vorzulegen.
Im Hinblick auf das o. a. Urteil des EuGH vom 3. September 2008 dürften diese Maßnahmen jedoch nicht
ausreichen. Für einen derartigen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte bedarf es einer speziellen, besonders
begründeten und hinreichend normenklaren Rechtsgrundlage, die den vom EuGH unterstrichenen rechtsstaatlichen
Anforderungen umfassend Rechnung trägt.
13.7
Datenübermittlungen des Bundeskriminalamtes an Behörden der
Russischen Föderation
Bei der Übermittlung personenbezogener Daten im polizeilichen Nachrichtenaustausch mit öffentlichen Stellen
der Russischen Föderation und den damit zusammenhän-
BfDI 22. Tätigkeitsbericht 2007-2008