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plädiert sicherzustellen, dass Dokumentenanhänge nur
Daten zu Personen enthalten, zu denen nach Maßgabe des
BKA-Gesetzes ein Personendatensatz angelegt wurde
und anderweitige personenbezogene Daten ggf. aus den
Anhängen zu entfernen sind. Dieser Anregung ist das
BMI gefolgt. Zudem dürfen nun Lichtbilder nur zu Beschuldigten, Verdächtigen und „sonstigen Personen“ im
Sinne von § 8 Abs. 5 BKA-Gesetz in den Fall-Dateien erfasst werden. Meine Bedenken gegen die weiterhin unübersichtliche, z. T. kumulative Möglichkeit von Freitextfeldern zu den einzelnen Datenfeldern bestehen dagegen
unverändert fort.
Mit Ende der Fußball-WM 2006 sind die Beratungen zur
konzeptionellen Weiterentwicklung von INPOL-neu in
den zuständigen Gremien der IMK wieder aufgenommen
worden. Vertreter von BKA und LKÄ erörtern die fachlichen und technischen Anforderungen, die INPOL künftig
erfüllen soll. Auf meine Bitte um rechtzeitige Beteiligung
der AG „INPOL“ der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder hat das BKA zugesagt, diese regelmäßig zweimal im Jahr über die technischen Aspekte der
weiteren Entwicklung von INPOL-neu zu unterrichten.
Zudem sollen weiterhin die Beratungsunterlagen zur Verfügung gestellt werden. Zu dem noch wichtigeren Aspekt
der künftigen fachlichen Anforderungen an INPOL liegt
mir dagegen noch kein Vorschlag für eine Einbeziehung
der AG „INPOL“ in die Beratungen der zuständigen
IMK-Gremien vor.
Sofern die Bundesregierung bzw. die Landesregierungen
an einer datenschutzrechtlichen Begleitung der weiteren
Konzeption von INPOL-neu durch die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder interessiert sind, muss
für meine Kollegen in den Ländern bzw. für mich die
Möglichkeit bestehen, die datenschutzrechtlichen Aspekte dieser Weiterentwicklung frühzeitig zu bewerten. In
wie weit im Hinblick auf die Komplexität des polizeilichen Informationssystems INPOL-neu und dessen Weiterentwicklung das künftige Beteiligungsverfahren geeignet ist, die datenschutzrechtliche Beratungsaufgabe
sachgerecht zu erfüllen, bleibt abzuwarten.
5.2.3

Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Rasterfahndung 2001 –
gesetzgeberische Konsequenzen?

Das Bundesverfassungsgericht hat die nach dem
11. September 2001 durchgeführte Rasterfahndung beanstandet. Die Entscheidung hat auch Bedeutung für die
Ausgestaltung anderer präventiv-polizeilicher Eingriffsmaßnahmen.
Der Beschluss vom 4. April 2006 (1 BvR 518/02) betrifft
die Durchführung einer Rasterfahndung aus Anlass der
Terroranschläge vom 11. September 2001 (vgl. 20. TB
Nr. 5.2.1) nach dem nordrhein-westfälischen Polizeigesetz. Dem Gericht zufolge sind bei einer präventiv-polizeilichen Rasterfahndung begrenzende Anforderungen an
die Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts sowie an die
Nähe des Betroffenen zur abzuwehrenden Bedrohung zu
stellen. Der Gesetzgeber dürfe den Eingriff erst von der
Schwelle einer hinreichend konkreten Gefahr für hoch-

rangige Rechtsgüter wie den Bestand oder die Sicherheit
des Bundes oder eines Landes oder für Leib, Leben oder
Freiheit einer Person vorsehen. Im vorliegenden Fall sei
der Kläger in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt worden, weil die Rasterfahndung auf
einer den verfassungsrechtlichen Grundsätzen widersprechenden weiten Auslegung des Begriffs der „gegenwärtigen Gefahr“ angeordnet und durchgeführt worden sei.
Eine Rasterfahndung im Vorfeld einer konkreten Gefahr
sei verfassungsrechtlich nicht zulässig. Schließlich betont
das Gericht die grundrechtssichernde Bedeutung des
Richtervorbehalts und der nachträglichen Benachrichtigung der von einer Rasterfahndung betroffenen Personen.
Der Beschluss hat Auswirkung auf die Ausgestaltung der
präventiv-polizeilichen Rasterfahndung in den Ländern
und beim Bund: Bei den Gesetzen, die auf das Vorliegen
einer Gefahr als Anknüpfungspunkt für die Durchführung
einer Rasterfahndung bisher gänzlich verzichten, besteht
entsprechender gesetzgeberischer Handlungsbedarf.
Regelungen, die hingegen das Vorliegen einer Gefahr voraussetzen, sind entsprechend den Ausführungen des
Bundesverfassungsgerichts verfassungskonform anzuwenden.
Im Hinblick auf die inhaltliche Weite der mit der polizeilichen Rasterfahndung verbundenen Datenerhebung und
-verarbeitung und der Einbeziehung zahlreicher Personen
in diese Maßnahme, ohne dass diese hierzu Anlass gegeben hätten, sind auch andere präventiv-polizeiliche Maßnahmen mit ähnlicher Eingriffstiefe und Streubreite an
den vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätzen zu messen und auszurichten. Dies gilt z. B. für die
Datenerhebungen mit besonderen Mitteln, wie die längerfristige Observation, den Einsatz technischer Mittel in einer für den Betroffenen nicht erkennbaren Weise zur Anfertigung von Bildaufnahmen oder -aufzeichnungen bzw.
zum Abhören oder Aufzeichnen des nicht-öffentlich gesprochenen Wortes und den Einsatz von Vertrauenspersonen der Polizei. Diese Maßnahmen richten sich sowohl
gegen den Störer als auch – unter bestimmten gesetzlich
festgelegten Bedingungen – gegen Nichtstörer. Zudem
können Dritte zulässigerweise von der Maßnahme betroffen werden. Auch die Kfz-Kennzeichenerfassung (vgl.
20. TB Nr. 5.1.3) hat eine große Streubreite, zumal die
Kfz-Kennzeichen aller an den Erfassungsgeräten vorbeifahrenden Fahrzeuge mit polizeilichen Fahndungsdateien
abgeglichen werden. Bei diesen Maßnahmen sollte daher
die Schwelle einer hinreichend konkreten Gefahr für die
bedrohten Rechtsgüter vorgesehen bzw. sollten die Regelungen entsprechend den genannten Ausführungen des
Bundesverfassungsgerichts verfassungskonform angewendet werden.
Schließlich knüpft auch die polizeiliche Videoüberwachung (Nr. 4.2) in öffentlichen Räumen nicht an eine konkrete Gefahrenlage an, sondern an den Aufenthalt an bzw.
in einer bestimmten Örtlichkeit. Von der Wahrnehmung
der Befugnis ist jedermann betroffen, der sich im Aufnahmebereich der Geräte befindet. Die Videoüberwachung
erhält Eingriffsintensität dadurch, dass Verhaltensweisen
und äußeres Erscheinungsbild der erfassten Personen

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BfDI 21. Tätigkeitsbericht 2005-2006

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