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A n l a g e 1 1 (zu Nr. 2.1)
Entschließung der 70. Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder am 27./28. Oktober
2005 in der Hansestadt Lübeck
Appell der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder:
Eine moderne Informationsgesellschaft braucht mehr Datenschutz
Die Kontrolle der Bürgerinnen und Bürger wird auch mit
den Argumenten der Verhinderung des Missbrauchs staatlicher Leistungen und der Erhöhung der Steuerehrlichkeit
vorangetrieben. So richtig es ist, in jedem Einzelfall die
Voraussetzungen für staatliche Hilfen zu prüfen und bei hinreichenden Anhaltspunkten Steuerhinterziehungen nachzugehen, so überflüssig und rechtsstaatlich problematisch ist
es, alle Menschen mit einem Pauschalverdacht zu überziehen und Sozial- und Steuerverwaltung mit dem Recht auszustatten, verdachtsunabhängig Datenabgleiche mit privaten und öffentlichen Datenbeständen vorzunehmen. Es
muss verhindert werden, dass mit dem Argument der
Leistungs- und Finanzkontrolle die Datenschutzgrundsätze der Zweckbindung und der informationellen Gewaltenteilung auf der Strecke bleiben.
Die Entwicklung in Medizin und Biotechnik macht eine
Verbesserung des Schutzes des Patientengeheimnisses
notwendig. Telemedizin, der Einsatz von High-Tech im
Gesundheitswesen, gentechnische Verfahren und eine intensivierte Vernetzung der im Gesundheitsbereich Tätigen kann zu einer Verbesserung der Qualität der Gesundheitsversorgung und zugleich zur Kosteneinsparung beitragen. Zugleich drohen die Vertraulichkeit der
Gesundheitsdaten und die Wahlfreiheit der Patientinnen
und Patienten verloren zu gehen. Diese bedürfen dringend des gesetzlichen Schutzes, u. a. durch ein modernes
Gendiagnostikgesetz und durch datenschutz- und patientenfreundliche Regulierung der Computermedizin.
Persönlichkeitsrechte und Datenschutz sind im Arbeitsverhältnis vielfältig bedroht, insbesondere durch neue
Möglichkeiten der Kontrolle bei der Nutzung elektronischer Kommunikationsdienste, Videotechnik, Funksysteme und neue biotechnische Verfahren. Schranken werden bisher nur im Einzelfall durch Arbeitsgerichte
gesetzt. Das seit vielen Jahren vom Deutschen Bundestag
geforderte Arbeitnehmerdatenschutzgesetz muss endlich
für beide Seiten im Arbeitsleben Rechtsklarheit und
Sicherheit schaffen.
BfDI 21. Tätigkeitsbericht 2005-2006
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Die Bürgerinnen und Bürger müssen auch in Zukunft frei
von Überwachung sich informieren und miteinander
kommunizieren können. Nur so können sie in der Informationsgesellschaft ihre Grundrechte selbstbestimmt in
Anspruch nehmen. Dem laufen Bestrebungen zuwider,
mit dem Argument einer vermeintlich höheren Sicherheit
immer mehr alltägliche Aktivitäten der Menschen elektronisch zu registrieren und für Sicherheitszwecke auszuwerten. Die längerfristige Speicherung auf Vorrat von
Verkehrsdaten bei der Telekommunikation, die zunehmende Videoüberwachung im öffentlichen Raum, die elektronische Erfassung des Straßenverkehrs durch Kfz-Kennzeichenabgleich, die Erfassung biometrischer Merkmale
der Bevölkerung oder Bestrebungen zur Ausdehnung der
Rasterfahndung betreffen ganz überwiegend völlig unverdächtige Bürgerinnen und Bürger und setzen diese der
Gefahr der Ausforschung ihrer Lebensgewohnheiten und
einem ständig wachsenden Anpassungsdruck aus, ohne
dass dem ein adäquater Sicherheitsgewinn gegenübersteht. Nur eine freie Gesellschaft kann eine sichere Gesellschaft sein. Angesichts zunehmender Überwachungsmöglichkeiten kommt der Freiheit vor staatlicher
Beobachtung und Ausforschung sowie dem Grundsatz
Den Sicherheitsbehörden steht bereits ein breites Arsenal
an gesetzlichen Eingriffsbefugnissen zur Verfügung, das
teilweise überstürzt nach spektakulären Verbrechen geschaffen worden ist. Diese Eingriffsbefugnisse der Sicherheitsbehörden müssen einer umfassenden systematischen
Evaluierung durch unabhängige Stellen unterworfen und
öffentlich zur Diskussion gestellt werden. Eingriffsbefugnisse, die mehr schaden als nützen, sind wieder zurückzunehmen.
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Es bedarf einer grundlegenden Modernisierung des Datenschutzrechtes. Hierzu gehört eine Ergänzung des bisher auf Kontrolle und Beratung basierenden Datenschutzrechtes um Instrumente des wirtschaftlichen Anreizes,
des Selbstdatenschutzes und der technischen Prävention.
Es ist daher höchste Zeit, dass in der kommenden Legislaturperiode vom Deutschen Bundestag ein Datenschutz-Auditgesetz erarbeitet wird. Datenschutzkonforme
Technikgestaltung als Wettbewerbsanreiz liegt im Interesse von Wirtschaft, Verwaltung und Bevölkerung. Zugleich ist die ins Stocken geratene umfassende Novellierung des Bundesdatenschutzgesetzes mit Nachdruck
voranzutreiben. Eine Vereinfachung und Konzentration
der rechtlichen Regelungen kann Bürokratie abbauen und
zugleich den Grundrechtsschutz stärken.
der Datensparsamkeit und Datenvermeidung eine zentrale
Bedeutung zu.
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Die Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes
und der Länder sieht für die 16. Legislaturperiode des
Deutschen Bundestags großen Handlungsbedarf im Bereich des Datenschutzes. Der Weg in eine freiheitliche
und demokratische Informationsgesellschaft unter Einsatz modernster Technologie zwingt alle Beteiligten, ein
verstärktes Augenmerk auf den Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung zu legen. Ohne wirksameren Datenschutz werden die Fortschritte vor allem in
der Informations- und der Biotechnik nicht die für Wirtschaft und Verwaltung notwendige gesellschaftliche Akzeptanz finden.