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K a s t e n a zu Nr. 6.1
Gemeinsames Papier der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder
Datenschutzrechtliche Forderungen für die Neuregelung verdeckter Ermittlungsmaßnahmen (§§ 100a ff.
StPO)
In der Koalitionsvereinbarung der Regierungsparteien vom 11. November 2005 ist festgelegt: „Wir werden die Regelungen zur Telekommunikationsüberwachung in der Strafprozessordnung im Sinne einer harmonischen Gesamtregelung der strafprozessualen heimlichen Ermittlungsmaßnahmen überarbeiten.“ In diesem Zusammenhang sollten insbesondere folgende datenschutzrechtliche Forderungen Beachtung finden:
1. Der Umfang des – seit Einführung der Vorschrift regelmäßig erweiterten – Straftatenkataloges des § 100a StPO
sollte im Hinblick auf Art und Schwere der Straftaten einer Überprüfung unterzogen werden. Ziel sollte dabei
sein, die Telekommunikationsüberwachung auf schwere Straftaten zu begrenzen und die tatsächliche Relevanz der
aufgeführten Tatbestände für die Praxis zu berücksichtigen.
Um eine umfassende Kontrolle der Entwicklung von TKÜ-Maßnahmen zu gewährleisten, muss in der StPO eine
Pflicht zur Erstellung aussagekräftiger Berichte geschaffen werden. Daneben muss auch die in § 110 Abs. 8 TKG
geregelte statistische Berichtspflicht der Betreiber von Telekommunikationsanlagen und der Regulierungsbehörde
beibehalten werden.
2. Der gesetzliche Richtervorbehalt darf nicht gelockert werden. Die Verwertung der angefertigten Aufzeichnungen
sollte in Fällen staatsanwaltschaftlicher Eilanordnungen davon abhängig gemacht werden, dass ein Gericht rückwirkend deren Rechtmäßigkeit feststellt.
3. Um die Qualität der Entscheidungen zu verbessern, sollte die Regelung des § 100b StPO dahingehend ergänzt
werden, dass die gesetzlichen Voraussetzungen der Anordnungen nach § 100a StPO einzelfallbezogen darzulegen
sind.
4. Der durch die Menschenwürde garantierte Kernbereich privater Lebensgestaltung ist zu gewährleisten. Datenerhebungen in diesem Bereich sind deshalb grundsätzlich unzulässig. Werden im konkreten Fall Inhalte erfasst, die
den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung betreffen, müssen ein absolutes Beweisverwertungsverbot, ein
Speicherungsverbot und ein Löschungsgebot gesetzlich normiert werden.
5. Zum Schutz von Vertrauensverhältnissen sollte eine Regelung geschaffen werden, nach der Gespräche zwischen
den Beschuldigten und zeugnisverweigerungsberechtigten Personen, also mit Angehörigen (§ 52 StPO), Berufsgeheimnisträgern (§ 53 StPO) und Berufshelfern (§ 53a StPO), grundsätzlich nicht verwertet werden dürfen.
6. Die Verwendung der durch die Maßnahmen erlangten personenbezogenen Informationen ist einer strikten Zweckbindung, insbesondere im Hinblick auf die Einhaltung der jeweiligen Anforderungen für ihre Erhebung, zu unterwerfen. Dies bedeutet für die Verkehrsdaten, die aufgrund der Umsetzung der EG-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung von den Telekommunikationsunternehmen zu Strafverfolgungszwecken bereit gehalten werden, dass sie
nur zum Zwecke der Verfolgung schwerer Straftaten – insbesondere, wie in den Erwägungsgründen der Richtlinie
genannt, in Fällen organisierter Kriminalität und Terrorismus – verwendet werden dürfen. § 100g StPO bedarf einer entsprechenden Überarbeitung.
7. Zur Sicherung der Zweckbindung muss eine gesetzliche Verpflichtung zur Kennzeichnung der aus TKÜ-Maßnahmen erlangten Daten geschaffen werden.
8. Der Umfang der Benachrichtigungspflichten ist im Gesetz näher zu definieren. Die Benachrichtigungsfrist und die
richterliche Überprüfung ihrer Einhaltung bzw. ihres Aufschubs sollten geregelt werden.
9. Die vorstehenden Forderungen nach
– Überprüfung der materiellen Voraussetzungen für die Maßnahme im Einzelfall,
– strikter Zweckbindung der erhobenen Daten,
– Kernbereichsschutz,
– verstärktem Schutz von Vertrauensverhältnissen,
– Regelung von Benachrichtigungspflichten und Löschungsfristen
gelten grundsätzlich für alle verdeckten Datenerhebungsmaßnahmen der Strafverfolgungsbehörden.

BfDI 21. Tätigkeitsbericht 2005-2006

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