5. Probleme der Anwendungspraxis im Spiegel der Konsistenz nachrichtendienstlicher Befugnisse
Die Nachrichtendienste wiesen im Rahmen der Interviews immer wieder auf praktische
Probleme hin, die auf inkonsistente Regelungen im System der besonderen Auskunftsverlangen sowie des IMSI-Catchers und dort auf teils überhöhte Anforderungen auf tatbestandlicher Ebene, aber auch auf die Pflichten zur Mitteilung zurückzuführen seien. Diese
in der Regel als Optimierungsvorschläge formulierten Hinweise sind bei den jeweiligen Normen dokumentiert. Im Folgenden werden sie exemplarisch für das BVerfSchG einer systematischen Betrachtung unterworfen.
5.1.
Zentrale Ergebnisse
Bei Betrachtung der besonderen Auskunftsverlangen fällt auf, dass in zahlreichen Fällen, in
denen weder ein Eingriff in Art. 10 GG noch ein erheblicher Eingriff in das Persönlichkeitsrecht
vorliegt, dennoch das G 10-Verfahren vorgesehen wird. Zudem stellen sich die Anforderungen
in Bezug auf Schutzgut, Gefahrengrad und Verfahren teils wenig konsistent dar. So werden
einerseits vergleichbare Anforderungen an Maßnahmen gestellt, die in ihrer Eingriffsintensität
weit auseinanderliegen (augenfällig bei vorbereitenden Maßnahmen zu Folgemaßnahmen:
Kontostammdaten zu Kontoinhalten; IMSI-Catcher zu G 10-Maßnahmen). Andererseits fallen
die tatbestandlichen Voraussetzungen teils erheblich auseinander, obschon eine vergleichbare Eingriffsintensität vorliegt (TK-Bestandsdaten wie auch Kontostammdaten [jeweils G 10Verfahren] zu Teledienst-Bestandsdaten [keine besonderen Verfahrensanforderungen]).
Schließlich können andere Behörden die gleichen Maßnahmen unter teils (erheblich)
geringeren Kautelen durchführen (Kontostammdatenerhebung sehen bei Nachrichtendiensten
das G 10-Verfahren, bei Polizei [auch des Bundes], Sozialbehörden etc. dagegen kein besonderes Verfahren vor).
Auch die Mitteilungspflicht ist widersprüchlich geregelt, wenn bei schwerwiegenderen Eingriffen ein endgültiges Absehen von der Mitteilung möglich ist, bei leichteren Eingriffen dagegen nicht (G 10-Maßnahmen und Maßnahmen nach § 8a Abs. 2 S. 1 Nr. 4 und 5 gegenüber
solchen nach § 8a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und 2 sowie Abs. 2a BVerfSchG).
5.2.
Verfassungsrechtlicher und sicherheitspolitischer Rahmen
Der Gesetzgeber hat verfassungsrechtlich gesehen einen äußerst großen Ermessensspielraum, „überobligatorischen Grundrechtsschutz“ durch hohe tatbestandliche Anforderungen
auch an wenig invasive Maßnahmen zu gewährleisten.233 Eine Grenze könnte sich dort ergeben, wo Maßnahmen praktisch undurchführbar werden und damit der gesetzliche Auftrag des
Nachrichtendienstes in Frage gestellt würde. Sollte der Gesetzgeber jedoch Befugnisse vorsehen und eine effektive nachrichtendienstliche Arbeit anstreben, so sollte er die Befugnisse
möglichst konsistent fassen. Folgende Prinzipien erscheinen sinnvoll:
Die tatbestandlichen Anforderungen sollten (in materieller wie formeller Hinsicht) mit der
Eingriffsintensität steigen und umgekehrt. Dies würde zudem der Logik des Verhältnismäßigkeitsprinzips entsprechen.
233
Der Gesetzgeber könnte auf das Einräumen der in Rede stehenden Befugnisse sogar gänzlich
verzichten.
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