Drucksache 18/12850
– 1676 –
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Die Anwendung des humanitären Völkerrechts setzt einen bewaffneten Konflikt voraus. Dazu müssen gegenseitig Kampfhandlungen geführt werden.9006 Für die Arbeit des Ausschusses standen dabei vor allem
nicht-internationale bewaffnete Konflikte im Mittelpunkt, z. B. in Pakistan.
Ein bewaffneter Konflikt gilt als nicht-international, wenn bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen der
Regierung eines Staates und aufständischen Gruppen, oder zwischen nicht-staatlichen Organisationen untereinander stattfinden (vgl. Artikel 8 Absatz 2 lit. f IStGH-Statut). Die rechtliche Grundlage für nicht-internationale bewaffnete Konflikte bilden hauptsächlich der gemeinsame Artikel 3 der vier Genfer Abkommen von
1949 und das Protokoll II. Ergänzt werden diese durch gewohnheitsrechtliche Vorschriften und durch allgemeine Grundsätze des humanitären Völkerrechts. Zutreffend verweist der Mehrheitsbericht auf die im gemeinsamen Artikel 3 der Genfer Abkommen enthaltene zwei Tatbestandsmerkmale eines nicht-internationalen bewaffneten Konfliktes. Erstens müssen die langanhaltenden (protracted) Kampfhandlungen eine gewisse Gewaltintensität erreicht haben; vereinzelte (gewalttätige) Aktionen reichen somit nicht aus. Zweitens
verlangt ein nicht-internationaler bewaffneter Konflikt einen bestimmten Organisationsgrad der Konfliktparteien, der für staatliche Streitkräfte vorausgesetzt wird, nicht jedoch für nichtstaatliche bewaffnete Gruppen
(siehe dazu unten (a)).
Hingegen gelten nach Artikel 1 Absatz 2 des Zusatzprotokolls II „Fälle innerer Unruhen und Spannungen
wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen“ nicht als nicht-internationale bewaffnete Konflikte. Rechtliche Maßstäbe für letztere sind daher in polizeirechtlichen Vorschriften
zu suchen, die ihrerseits menschenrechtskonform angewendet werden müssen. Unter territorialen Gesichtspunkten kann von einem nicht-internationalen bewaffneten Konflikt die Rede sein, wenn die Auseinandersetzungen nicht nur innerhalb eines Staatsterritoriums stattfinden, sondern auf das Territorium eines Nachbarstaates ausgeufert sind.
Aus diesen Erläuterungen wird deutlich, dass die Feststellung der Bundesregierung, dass der „Konflikt in
Afghanistan“ ein nicht-internationaler Konflikt sei, schlichtweg zu pauschal und nach völkerrechtlichen
Maßstäben nicht haltbar ist. Denn der Bundesregierung obliegt es unter strengen Voraussetzungen, sorgfältig
zu prüfen, ob zu einer bestimmten Zeit und in einem bestimmten Ort ein nicht-internationaler Konflikt vorliegt oder nicht. Eine Einzelfallprüfung eines Konflikts ist nach humanitär völkerrechtlichen Maßstäben mithin absolut notwendig.
Konkret bedeutet dies, dass einzelne grenzüberschreitende terroristische Gewaltakte an sich nicht schon als
(transnationale) nicht-internationale Konflikte gelten können, wie menschenverachtend sie auch sein mögen.
Nur eine konkrete und gegenwärtige Einzelfallprüfung kann den schnellen Änderungsdynamiken und den
aktuellen Kräfteverhältnissen in den gegenwärtigen Konflikten Rechnung tragen. Dies ist besonders für den
Jemen festzustellen, wo unterschiedliche Kräfte mit oder ohne Regierungsbeteiligung je nach Zeitpunkt einen
unterschiedlichen Organisationsgrad aufweisen und dominierend oder gewalttätig waren. Die Bundesregierung genügt sich jedoch mit der pauschalen Feststellung, dass im Jemen ein bewaffneter Konflikt stattfände.
9006)
Vgl. Internationaler Gerichtshof für das ehemalige Jugoslawien, Limaj, Urt. v. 30.11.2005, Nr. IT-3-66-T, Rn. 169.