Drucksache 18/12850
– 1524 –
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Auch die BND-Datenschutzbeauftragte, die Zeugin H. F., die nach dem Aufdecken der NSA-SelektorenProblematik im März 2015 die „Prüfgruppe Selektoren“ geleitet hatte, hat vor dem Ausschuss festgestellt,
dass die Prüfung der NSA-Selektoren in der Vergangenheit unzureichend war und den BND-Mitarbeiter_innen andere Kriterien als „G 10“ gefehlt haben:
„Ich denke, was insgesamt bei der Selektorensteuerung, auch im Hinblick auf die ausländischen Selektoren, ein Problem war: dass die Mitarbeiter wenige Anhaltspunkte
hatten: „Linke Grenze, rechte Grenze: Was ist eine zulässige Steuerung? Was ist eine
unzulässige Steuerung?“, also: „Wo muss ich aufpassen?“, Stichwort: EU-Ausländer
und Ähnliches. Die Mitarbeiter sind sehr intensiv in der Vergangenheit geschult worden zum Thema G 10; aber die sonstigen Interessen, europäische Interessen und Ähnliches, da herrschte offensichtlich Unkenntnis.“8216
Die seit 2008 von „händisch“ auf automatisiert umgestellte Prüfung der NSA-Selektoren mag das Problem
verschärft haben, weil dann nur noch der Computer maschinell die Suchbegriffe nach dem vorgegegebenen
Raster durchsucht hat. Der Systemfehler lag aber an den mangelhaften Prüfkriterien. Der BND war auf den
sog. G 10-Schutz fixiert, der aber auch nur so gut funktionieren kann, wie es zureichende Erkennungsmerkmale für „deutsche“ Adressen und andere Telekommunikationsmerkmale gibt. Beispielsweise auch in
Deutschland verbreitete E-Mail-Adressen von ausländischen Providern wie gmail.com, aol.com, yahoo.com
usw. wären ohne Zusatzwissen zum Inhaber weder händisch noch automatisiert herausgefiltert worden. Bei
Selektoren wie Messenger-IDs ist es unmöglich, die Nationalität oder eine geografische Zuordnung festzustellen. Für zahlreiche andere Selektoren-Typen gilt dies ebenso.
Eine Sensibilität für den Schutz von Bürger_innen und Institutionen in EU-Staaten und anderer „deutscher
Interessen“ fehlte im BND vollständig. Das mag auch daran gelegen haben, dass der deutsche Auslandsnachrichtendienst selbst in großem Umfang Selektoren von Regierungen und Ministerien der EU-Staaten und
Einrichtungen der Europäischen Union einsetzte und diese überwachte (siehe zu den unzulässigen BNDeigenen Selektoren in Kapitel VIII). Der BND sah darin gar nichts Problematisches – bis zu den Aussprüchen
der Bundeskanzlerin und ihres Regierungssprechers im Sommer 2013: „Abhören unter Freunden geht gar
nicht.“
Völlig unzulänglich war das rein zufällige Aussortieren von unzulässigen oder unerwünschten NSA-Selektoren mit EU-Bezug, von europäischen Firmen oder solchen mit deutscher Beteiligung. Insgesamt untauglich
ist auch die Rechtfertigung des BND, bei der Auswertung der „Treffer“ und dem Erstellen der Meldungen
seien solch unzulässige Selektoren doch aufgefallen. BND-Zeug_innen haben vielmehr bestätigt, dass sie die
mit NSA-Selektoren gewonnenen Daten in der Regel gar nicht gesichtet haben, weil sie mit den eigenen
Treffern genug zu tun hatten.8217
Eine Weisung der Abteilungsleitung oder des Präsidenten für den Einsatz von NSA-Selektoren (oder von
anderen Partnerdiensten) gab es bis März 2015 nicht. Das Memorandum of Agreement zwischen BND und
8216)
8217)
H. F., Protokoll-Nr. 121 I, S. 24.
R. U., Protokoll-Nr. 47 I, S. 22 f.