Drucksache 17/5200
– 72 –
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
K a s t e n c z u N r. 6 . 1
Entschließung der 79. Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes
und der Länder vom 17./18. März 2010
Keine Vorratsdatenspeicherung!
Das Bundesverfassungsgericht bewertet in seinem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung vom 2. März 2010
(1 BvR 256/08) die anlass- und verdachtslose vorsorgliche Speicherung von Telekommunikationsdaten als einen „besonders schweren Eingriff mit einer Streubreite, wie sie die Rechtsordnung bisher nicht kennt“. Weil diese Speicherung die Erstellung aussagekräftiger Persönlichkeits- und Bewegungsprofile praktisch aller Bürgerinnen und Bürger
ermöglicht, lehnt die Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder die Vorratsdatenspeicherung grundsätzlich ab. Das Verbot der Totalerfassung gehört zur verfassungsrechtlichen Identität der Bundesrepublik
Deutschland, die auch in europäischen und internationalen Zusammenhängen zu wahren ist. Die Konferenz fordert
deshalb die Bundesregierung auf, sich für eine Aufhebung der Europäischen Richtlinie 2006/24/EG einzusetzen.
Darüber hinaus betont das Bundesverfassungsgericht, dass die Freiheitswahrnehmung der Bürgerinnen und Bürger
nicht total erfasst und registriert werden darf. Daher strahlt die Entscheidung über den eigentlichen Entscheidungsgegenstand hinaus und muss auch in anderen Bereichen, etwa bei der diskutierten Speicherung der Daten von Flugpassagieren oder bei der Konzeption von Mautsystemen beachtet werden. Auch die zentrale ELENA-Datenbank muss
jetzt auf den Prüfstand. Der Gesetzgeber ist bei der Erwägung neuer Speicherungspflichten oder -berechtigungen im
Hinblick auf die Gesamtheit der verschiedenen Datensammlungen zu größerer Zurückhaltung aufgerufen.
6.2
Denn sie wissen, wo Du bist –
Ortungsdienste im Wandel
Immer mehr mobile Geräte ermöglichen eine immer genauere Feststellung, wo sich deren Besitzer aufhalten.
Mobiltelefone und andere mobile Endgeräte können nur
genutzt werden, wenn sie mit Funknetzen verbunden sind.
Auf diese Weise entstehen – als Nebenprodukt – Standortdaten, die zumindest den Netzbetreibern bekannt sind. Allerdings sind diese Daten auch für sonstige Dritte von Interesse: Für Anbieter von „Location Based Services“, aber
auch für Werbetreibende und Notdienste.
Die in immer mehr mobile Geräte eingebauten Techniken
zur Selbstortung mittels Satellit und die Verwendung der
Kenndaten von WLAN-Netzen (vgl. Nr. 4.1.2) gestatten
eine fast metergenaue Ortung – selbst in geschlossenen
Räumen. Je genauer die Standortdaten sind, desto interessanter sind sie für mögliche Nutzer und desto bedeutsamer
wird der Schutz der Betroffenen vor heimlicher Ortung.
Auch wenn es jeweils um die Feststellung des Standorts
von mobilen Geräten geht, ist die rechtliche Würdigung
von Ortungsmechanismen kompliziert – Grund genug für
ein Update meiner bisherigen Berichterstattung zu diesem
Thema (vgl. zuletzt 22. TB Nr. 7.7).
Handyortung nach dem Telekommunikationsgesetz (TKG)
In meinem 22. TB hatte ich bereits über einen Gesetzentwurf zur Änderung des TKG berichtet, der schließlich im
August 2009 Gesetzeskraft erlangte (BGBl. I S. 2409).
Hiermit sollte für die klassische Mobilfunkortung, die von
den Netzbetreibern durchgeführt wird, der Missbrauchsgefahr entgegengewirkt werden. Die wichtigsten Neuerungen waren, dass für Ortungen durch Dritte eine schriftliche Einwilligung des Teilnehmers gefordert wird und
dass nach fünf Ortungen eine Informations-SMS an diesen
verschickt werden muss.
BfDI 23. Tätigkeitsbericht 2009-2010
Bei der Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben zeigten sich
jedoch Unklarheiten und Umgehungsmöglichkeiten. So
wird nicht zweifelsfrei geregelt, wer wofür verantwortlich
ist. Der Handyvertrag kann bei einem Serviceprovider abgeschlossen worden sein, der Mobilfunkdienst wird vom
Netzbetreiber erbracht, ein Ortungsanbieter betreibt die
Ortungsplattform und schließt die Verträge zur Ortung ab.
Nur der Serviceprovider kennt den Teilnehmer, hat aber
mit dem eigentlichen Ortungsvorgang nichts zu tun.
Die Bundesnetzagentur (BNetzA) sieht nicht zuletzt aus
Gründen der Praktikabilität den Ortungsanbieter als Verpflichteten zur Entgegennahme der schriftlichen Einwilligung. Um dem Missbrauchsrisiko zu begegnen, habe der
Ortungsdiensteanbieter allerdings geeignete Maßnahmen
zur Sicherstellung einer wirksamen Einwilligung zu treffen. Maßnahmen dieser Art könnten darin liegen, dass
zusammen mit der Einwilligung eine Erklärung des Teilnehmers eingeholt wird, in der dieser versichert, Vertragspartner zu der angegebenen Mobilfunkrufnummer zu sein.
Ich habe Zweifel, dass hiermit dem Missbrauch effektiv
begegnet wird. Die im TKG vorgesehene Informations-SMS – theoretisch vom Serviceprovider zu versenden, der nichts von der Ortung weiß – greift nur, wenn
kein Widerspruch gegen die SMS-Benachrichtigung eingelegt wurde. Die im Gesetz vorgesehene Möglichkeit
zum Verzicht auf Benachrichtigung dürfte einen Missbrauch in manchen Fällen erst ermöglichen.
Ein weiteres Problem ist die Eigenortung. Ein Teilnehmer, also der Kunde, der sein eigenes Handy orten will,
muss weder entsprechend § 98 TKG schriftlich einwilligen noch braucht er eine Informations-SMS zu erhalten.
Eine „gesetzeskonforme“ Eigenortung in diesem Sinne
wäre auch dann gegeben, wenn der Teilnehmer mehrere
SIM-Karten besitzt, etwa eine Partnerkarte für seinen
Ehepartner oder bei auf einen Arbeitgeber gebuchten
Diensthandys, die er seinen Mitarbeitern auch zur priva-