Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
– 71 –
Der Entscheidung der Kommission geht das bereits angesprochene Evaluierungsverfahren voraus, an dem auch
ich mich beteiligt habe. So habe ich im Rahmen einer
Untersuchung der Artikel-29-Gruppe im Jahr 2009 Kontrollen bei mehreren Telekommunikationsunternehmen
durchgeführt, um mir auch von der praktischen Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung ein besseres Bild ma-
Drucksache 17/5200
chen zu können. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse
– die auch erhebliche Umsetzungsdefizite betreffen – sind
sowohl in meine Stellungnahmen gegenüber dem BVerfG
als auch in einen Bericht der Artikel-29-Gruppe (WP 172
vom 13. Juli 2010) eingegangen, der der Kommission im
Rahmen des Evaluierungsverfahren zur Verfügung gestellt wurde.
K a s t e n a zu Nr. 6.1
Hintergrundinformationen zur Vorratsdatenspeicherung
Am 15. März 2006 wurde die EG-Richtlinie 2006/24/EG beschlossen, mit der den Mitgliedstaaten europaweit die
Einführung einer Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten zur Verfolgung schwerer Straftaten auferlegt wurde (vgl. 21. TB Nr. 10.1). In Deutschland wurde diese Richtlinie mit dem „Gesetz zur Neuregelung
der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der
Richtlinie 2006/24/EG“ am 1. Januar 2008 in nationales Recht umgesetzt. Aufgrund dieser Gesetzesänderung wurden Telekommunikationsunternehmen verpflichtet, die Verkehrsdaten ihrer Kunden über einen Zeitraum von sechs
Monaten zu speichern und bei Bedarf den Strafverfolgungsbehörden, den Polizeibehörden für präventiv-hoheitliche
Aufgaben sowie den Nachrichtendiensten zur Verfügung zu stellen, soweit diese über eine entsprechende gesetzliche
Auskunftsbefugnis verfügen.
Bei den zu speichernden Daten handelte es sich unter anderem um Telefonverbindungsdaten wie die Rufnummer des
Anrufers und des Angerufenen, den genauen Zeitpunkt und die Dauer eines Gespräches sowie bei Mobilfunkgesprächen die Funkzelle, in der das Gespräch begonnen wurde, und die eindeutige SIM-Karten- und Handy-Identifikationsnummer. Ab dem 1. Januar 2009 wurde die Speicherpflicht auch auf solche Daten erweitert, die bei der E-Mailund Internet-Nutzung anfallen. In diesem Zusammenhang sind insbesondere die IP- und E-Mail-Adresse zu nennen.
Mit Urteil vom 2. März 2010 erklärte das BVerfG die gesetzlichen Vorschriften zur Vorratsdatenspeicherung für verfassungswidrig und nichtig. Neben dem deutschen hat auch das rumänische Verfassungsgericht die nationale Umsetzung der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung für verfassungswidrig erklärt. Ein vergleichbares Verfahren ist auch
beim ungarischen Verfassungsgericht anhängig. Der irische High-Court hat darüber hinaus dem Europäischen
Gerichtshof (EuGH) die Frage vorgelegt, ob die Richtlinie mit den verbrieften Grundrechten der Gemeinschaft vereinbar ist. Der EuGH hatte Anfang des Jahres 2009 festgestellt, dass die Richtlinie formell auf der richtigen Rechtsgrundlage erlassen wurde. Ausführungen zur inhaltlichen Rechtmäßigkeit blieben bei der damaligen Prüfung aber explizit unberücksichtigt.
Vor einer Entscheidung durch den EuGH könnte die Richtlinie aber bereits durch die Kommission abgeändert werden. Ein entsprechendes Evaluierungsverfahren soll voraussichtlich zum Ende des ersten Quartals 2011 abgeschlossen sein.
K a s t e n b zu Nr. 6.1
Zitate aus dem Urteil des BVerfG zur Vorratsdatenspeicherung
„Eine Speicherung kann nicht als solche abstrakt gerechtfertigt werden, sondern nur insoweit, als sie hinreichend gewichtigen, konkret benannten Zielen dient.“
„Die verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit einer vorsorglich anlasslosen Speicherung [...] setzt voraus, dass diese
eine Ausnahme bleibt. Sie darf auch nicht im Zusammenspiel mit anderen vorhandenen Dateien zur Rekonstruierbarkeit praktisch aller Aktivitäten der Bürger führen.“
„Dass die Freiheitswahrnehmung der Bürger nicht total erfasst und registriert werden darf, gehört zur verfassungsrechtlichen Identität der Bundesrepublik Deutschland, für deren Wahrung sich die Bundesrepublik in europäischen
und internationalen Zusammenhängen einsetzen muss.“
BfDI 23. Tätigkeitsbericht 2009-2010