6.4 Speicherung von Fluggastdaten
Seit dem 29. August 2018 speichert die beim Bundeskriminalamt (BKA) eingerichtete Fluggastdatenzentrale
(Passenger Information Unit, PIU) die von Luftfahrt­
unternehmen übermittelten Passagierdaten von Flugreisenden. Das betrifft potentiell alle in Deutschland
ankommenden und von Deutschland abgehenden Flüge
über die Schengen-Grenzen sowie über innereuropäische
Staatsgrenzen. Inzwischen ist eine sechsstellige Anzahl
von Fluggastdatensätzen (PNR-Daten) zusammengekommen. Rechtsgrundlage für die Sammlung und Auswertung dieser Daten ist das Fluggastdatengesetz, mit dem
die europäische PNR-Richtlinie umgesetzt wurde.
Die Verarbeitung von Fluggastdaten habe ich schon in
mehreren Tätigkeitsberichten kritisch beleuchtet (vgl.
22. TB Nr. 13.5.4; 26. TB Nr. 2.3.2; 27. TB Nr. 1.3). Spätestens seit dem Gutachten des Europäischen Gerichtshofes
(EuGH) vom 26. Juli 2017 zum geplanten Fluggastdaten-Abkommen zwischen Kanada und der Europäischen Union (EU) bestehen erhebliche Zweifel, ob die
Richtlinie (EU) 2016/681 des Europäischen Parlaments
und des Rates vom 27. April 2016 über die Verwendung
von Fluggastdatensätzen zur Verhütung, Aufdeckung,
Ermittlung und Verfolgung von terroristischen Straftaten
und schwerer Kriminalität (PNR-RL) mit der Grundrechtecharta der EU vereinbar ist. Das gilt auch für das
hiesige nationale Fluggastdatengesetz (FlugDaG).
In seinem Gutachten hat der EuGH der anlasslosen
langfristigen Speicherung der Daten sämtlicher Flugpassagiere eine klare Absage erteilt. Mit Blick auf die
Übermittlung von PNR-Daten an Kanada stellte der
EuGH bei der zulässigen Speicherdauer maßgeblich
auf den Ausreisezeitpunkt ab. Wenn bei der Einreise
oder während des Aufenthaltes einer Person keine
objektiven Anhaltspunkte für Gefahren aus dem Bereich
des internationalen Terrorismus oder der schweren
grenzübergreifenden Kriminalität durch diese Person ermittelt werden können, ist nach Auffassung des Gerichts
der ursprüngliche Übermittlungszweck erfüllt und die
weitere Speicherung der Fluggastdaten unzulässig. Eine
weitere Speicherung hält das Gericht nur dann für zulässig, wenn in konkreten Einzelfällen objektive Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass bestimmte Fluggäste auch
nach ihrer Ausreise eine Gefahr im Zusammenhang mit
der Bekämpfung des internationalen Terrorismus oder
schwerer grenzübergreifender Straftaten darstellen.
Nach meiner Rechtsauffassung sind die Erwägungen
des Gerichts über die Unzulässigkeit der langfristigen
anlasslosen Speicherung der Fluggastdaten sämtlicher
Passagiere auf die PNR-RL und das FlugDaG übertragbar.
Deshalb habe ich sowohl die Bundesregierung als auch
gemeinsam mit den anderen europäischen Datenschutz-

aufsichtsbehörden die Kommission zu Nachbesserungen
der Gesetze aufgefordert. Bislang ist hier jedoch wenig
Bereitschaft dazu erkennbar.
Inzwischen sind sowohl in Deutschland als auch in
anderen EU-Staaten Klagen gegen die Speicherung von
Fluggastdaten anhängig. Das belgische Verfassungsgericht hat dem EuGH mehrere Fragen zur Vereinbarkeit
von PNR-Regelungen mit der Grundrechtecharta zur
Vorabentscheidung vorgelegt. Ich begrüße es, auf
diesem Weg eine Klärung herbeizuführen. Es bedarf
insbesondere einer Grundsatzentscheidung des EuGH,
ob und wie lange eine anlasslose Speicherung von Fluggastdaten zum Zwecke der Verhütung und Verfolgung
von terroristischen und sonstigen schweren Straftaten
rechtmäßig erfolgen kann.

6.5 Abfragen beim Bundesamt für
Verfassungsschutz vor Vergabe von
öffentlicher Förderung
Die Bundesministerien befragen bei der Vergabe
staatlicher Leistungen an private Dritte das Bundesamt
für Verfassungsschutz (BfV), um eine missbräuchliche
Inanspruchnahme der Leistungen durch verfassungsfeindliche Organisationen auszuschließen. Für die
Einbeziehung des BfV und die damit verbundene Verarbeitung personenbezogener Daten fehlt es an einer
hinreichenden gesetzlichen Grundlage.
Zur ganzheitlichen Bekämpfung von extremistischen
und terroristischen Organisationen hat das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) mit
dem sog. Haber-Diwell-Erlass aus dem Jahr 2017 auch
den Bereich der staatlichen Leistungsgewährung als
relevant für die innere Sicherheit eingestuft. Bei den
ins Auge gefassten Leistungen handelt es sich beispielsweise um Förderprogramme mit jugend-, bildungs-,
entwicklungs-, umwelt- oder integrationspolitischer
Zielsetzung. Um eine missbräuchliche Inanspruchnahme
dieser Leistungen durch verfassungsfeindliche Organisationen zu verhindern, sollen die Bundesministerien
Anfragen zum Vorliegen von möglichen verfassungsschutzrelevanten Erkenntnissen an das BfV richten. Nach
Überprüfung der in der Anfrage genannten Organisationen, Personen oder Veranstaltungen erteilt das BfV
den Bundesministerien Auskunft darüber, ob verfassungsschutzrelevante Erkenntnisse vorliegen oder nicht.
Von der Mitteilung hängt maßgeblich ab, ob staatliche
Leistungen an die Antragstellenden vergeben werden.
Wegen der tiefgreifenden Auswirkungen für die von der
Anfrage Betroffenen und der damit einhergehenden
Grundrechtsrelevanz bedarf es für die fraglichen Daten-

Tätigkeitsbericht zum Datenschutz für 2019

51

Select target paragraph3