Ein besonders eklatantes Beispiel ist der tragische Tod
einer ägyptischen Austauschstudentin, die im April 2017
in Cottbus (Brandenburg) bei einem Verkehrsunfall ums
Leben kam und die nach dem Unfall von den Beifahrern
des verursachenden Fahrzeuges rassistisch beschimpft
worden war. Der Sachverhalt war offensichtlich nicht
von der Polizei ermittelt worden, sondern wurde erst
durch eine Zeugin öffentlich bekannt. Hochrangige Polizeibeamte des Landes Brandenburg haben in diesem
Zusammenhang Versäumnisse eingeräumt. Aber auch
die nach wie vor erheblichen Diskrepanzen zwischen
den Statistiken der Opferberatungsstellen und dem
BKA zum Aufkommen von PMK Rechts Gewalttaten
zeigen, dass die Regelung noch nicht erfolgreich umgesetzt wird.
Transparenz und unabhängige Überprüfung
Noch immer existiert gegenüber der Öffentlichkeit zum
Definitionssystem der politisch motivierten Kriminalität
keine Transparenz. Die geforderte Veröffentlichung des
2017 beschlossenen und reformierten Definitionssystems der politisch motivierten Kriminalität inkl. aller
Anlagen wie dem so genannten Themenfeldkatalog
wurde bislang von der Innenministerkonferenz und dem
Bundesinnenministerium abgelehnt.
Auch die von Beratungsstellen, Menschenrechtsgruppen und der Fraktion DIE LINKE angemahnte unabhängige Überprüfung der Diskrepanz zwischen den
63 von der Bundesregierung seit 1990 anerkannten
Todesopfern rechter Gewalt und den mindestens 164
Tötungsdelikten mit rechtsextremen Hintergrund, die
durch Journalist*innen und Nichtregierungsorganisationen dokumentiert wurden, ist bislang nicht umgesetzt worden. Dabei hat das Bundesland Brandenburg
gezeigt, dass eine unabhängige Überprüfung der PMKRechts Tötungsdelikte durch das »Moses Mendelssohn
Zentrum« der Universität Potsdam eine größtmögliche
Transparenz bieten und alle Akteur*innen miteinbeziehen konnte.
Diese Überprüfung ist nach Ansicht der Fraktion
DIE LINKE auch deshalb notwendig, weil beispielsweise
im Fall des im April 2012 in Berlin-Neukölln ermordeten
Auszubildenden Burak Bektas der dringende Verdacht
besteht, dass es sich hier um einen rassistisch bzw.
rechtsterroristisch motivierten Mord handelt, dessen
Aufklärung durch die Berliner Polizei- und Justizbehörden jedoch in Bezug auf ein PMK-Rechts Motiv nur
unzureichend vorgenommen wurde. Dass eine Überprüfung von so genannten Altfällen auch zum erfolgreichen Abschluss von offenen Ermittlungsverfahren
bei schwersten Gewalttaten führen kann, zeigen die
Ermittlungen zum Sprengstoffanschlag in DüsseldorfWehrhahn im Jahr 2000. Hier wurden 17 Jahre nach der
Tat – angestoßen durch die Selbstenttarnung des NSU
– Spuren neu bewertet und Zeug*innen erneut vernommen. Im Verlauf des zweiten NSU-Untersuchungsausschusses wurde dann im Frühjahr 2017 ein tatverdächtiger Neonazi in Untersuchungshaft genommen.
Auch die Empfehlung 15 der ersten NSU-Untersuchungs-
ausschusses wird in vielen Bundesländern nach wie vor
nicht umgesetzt: »Opfer mutmaßlich rassistisch oder
anderweitig politisch motivierter Gewalt müssen, wenn
sie Anzeige erstatten, Strafantrag stellen oder als Zeuge
vernommen werden, auf die spezialisierten Beratungsangebote auch in freier Trägerschaft und auf Entschädigungsansprüche für Betroffene solcher Straftaten
hingewiesen werden und deren Kontaktdaten ausgehändigt werden. Auch diese Hinweise müssen dokumentiert
werden.« Diese Empfehlung wird in vielen Bundesländern bislang ebenso wenig umgesetzt wie die Empfehlung »Opferzeugen müssen, wenn sie bei Ermittlungen
befragt werden oder selbst Anzeige erstatten verpflichtend und wenn erforderlich in ihrer Muttersprache auf
ihr Recht hingewiesen werden, dass neben einem Anwalt
auch eine Person ihres Vertrauens an der Vernehmung
teilnehmen kann. Dieser Hinweis muss dokumentiert
werden.« Auch diese Empfehlung wird nicht in allen
Bundesländern umgesetzt.
Eklatanten weiteren Reformbedarf sieht die Fraktion
DIE LINKE im Bereich der Justiz. Dies gilt sowohl für
die Aus- und Fortbildung für Richter, Staatsanwälte und
Justizvollzugsbedienstete, um Rechtsextremismus und
Rassismus zu erkennen und richtig einschätzen zu können. Hier plant das Deutsche Institut für Menschenrechte erst ab 2018 unterstützt vom Bundesjustizministerium
eine Fortbildungsreihe.
Anhand der Ermittlungen gegen die so genannte »Gruppe Freital«, die in 2015 über ein halbes Jahr mit Sprengstoffanschlägen und gewaltsamen Angriffen Geflüchtete
und deren Helfer*innen in der sächsischen Kleinstadt
terrorisierten, wird aber auch deutlich, dass es in Teilen
der Justiz – wie schon vor dem November 2011 – eine
anhaltende Weigerung gibt, organisierte, bewaffnete
Neonazistrukturen als solche zu erkennen und zu verfolgen. Erst auf Druck der Nebenklagevertreter*innen
kam es zu einer Übernahme der Ermittlungen durch
den Generalbundesanwalt, der nunmehr mehrere mutmaßliche Mitglieder der Gruppe wegen Mitgliedschaft
in einer terroristischen Vereinigung nach §129a StGB
angeklagt hat. Hier zeigt sich, dass die Empfehlung des
ersten Untersuchungsausschusses zur Ausweitung der
Verfahrensübernahme durch den Generalbundesanwalt § 120 Abs. 2 GVG und ihre Umsetzung durch das
Bundesministerium der Justiz in Einzelfällen erfolgreich
Wirkung zeigt.204Allerdings scheint dies auch durchaus
willkürlich gehandhabt zu werden. Im Fall eines organisierten schweren Angriffs der Gruppe »Angry Aryans«
am 1. Mai 2017 in Halle/S. auf Gegendemonstrant*innen
hat der Generalbundesanwalt jedenfalls die Übernahme
der Ermittlungen abgelehnt.
Auch im Fall der Umsetzung der Änderung von § 46
Absatz 2 Satz 2 StGB, wonach bei der Strafzumessung
nunmehr rassistische Motive berücksichtigt werden
sollen wäre eine unabhängige Evaluation notwendig.
Denn die Berücksichtigung von rassistischen Tatmotiven beispielsweise in Fällen von Brandstiftungen auf
Unterkünfte von Geflüchteten ist nach wie vor sehr un204
vgl. BT-Drs. 18/3007, http://bit.ly/2fXKPFW
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