und zur Kooperation von Polizei und Geheimdiensten
behauptet worden und weniger nach den Gründen für
möglichen Missachtung, Umgehung, Fehlinterpretation
vorhandener und geltender Gesetze, Verordnungen,
Richtlinien oder aber deren korrekte, aber erfolglose
Anwendung gesucht worden. Diese Linie hat sich auch
im zweiten NSU-Untersuchungsausschuss fortgesetzt
und spiegelt sich insbesondere in den Empfehlungen zu
DNA-Erhebungen wieder.
Die bislang umgesetzten »Reformen« bei BfV und BKA
sowie die weiterführenden Überlegungen und Pläne
des AK IV der Innenministerkonferenz und der BundLänder-Kommission folgen im Wesentlichen einem
seit Jahrzehnten eingefahrenen sicherheitspolitischen
Diskurs, der vor dem Hintergrund islamistisch motivierten Terrors zu immer weitgehenderen Überlegungen
und gesetzlichen Maßnahmen führt, deren Wirksamkeit
sowohl in Anbetracht der damit einhergehenden Freiheitsverluste als auch in Anbetracht der ohnehin schon
zur Verfügung stehenden Möglichkeiten aus Straf- und
Polizeirecht dringend in Frage gestellt werden muss.
Exemplarisch dafür steht der Ausbau des Gemeinsamen Abwehrzentrum Extremismus/Terrorismus (GETZ),
dessen Praxis nicht nur aufgrund von erheblichen
Fehlern im Fall Anis Amri dringend einer unabhängigen
Überprüfung bedarf. Dies gilt auch für das mutmaßliche
rechtsterroristischen Netzwerk in der Bundeswehr um
Franco A. und die länderübergreifenden Ermittlungen
und Einschätzungen nach einer Reihe von schweren
neonazistischen Gewalttaten, die beispielsweise am
11. Januar 2016 in Leipzig-Connewitz, am 1. Mai 2015 in
Saalfeld sowie am 1. Mai 2017 in Halle/S. von länderübergreifend agierenden, extrem gut vernetzten und
gewalttätigen Neonazi-Gruppen verübt wurden.
1) Nicht reformierbar: Die Geheimdienste
Die gemeinsamen Empfehlungen Nr. 32 bis 47 des Untersuchungsausschusses der 17. Wahlperiode bezogen
sich zum größten Teil auf den Bereich des Verfassungsschutzes. Die Zusammenführung vorliegender Informationen von länderübergreifender Bedeutung wurde
hier genauso gefordert wie die Übermittlung zentraler
Informationen an die Strafverfolgungsbehörden. Eine
Neuregelung und strengere Kriterien bei der V-Leute
Auswahl, die Relativierung des Quellenschutzes und
Neuregelungen für die V-Mann Führung finden sich in
den Empfehlungen. Schließlich forderte der Ausschuss
einen »umfassenden Mentalitätswechsel« und ein
»neues Selbstverständnis der Offenheit«. Die Forderung
der Fraktion DIE LINKE nach sofortiger Beendigung
des V-Leute Systems und nach einer Abschaffung
des Bundesamtes für Verfassungsschutz und seiner
Ersetzung durch eine Koordinierungsstelle des Bundes
zur Dokumentation neonazistischer, rassistischer und
antisemitischer Einstellungen und Bestrebungen sowie
sonstiger Erscheinungsformen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit fand keine Mehrheit.
Die Bundesregierung sieht in der Antwort auf die
Große Anfrage der Linksfraktion alle Empfehlungen
an den Verfassungsschutz als erfüllt an und verweist
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dazu auf die Veränderung des Verfassungsschutzgesetzes als zentrales Element. Faktisch ist das Bundesamt mit der Gesetzesänderung jedoch zum Profiteur
der Entwicklung nach der Selbstenttarnung des NSU
geworden - ohne Kurswechsel und ohne nennenswerte Veränderungen. Gesetzlich wurde die Zentralstellenfunktion des BfV gegenüber den Landesämtern
festgeschrieben. Der Stellenaufwuchs des BfV seit
dem Jahr 2011 ist mit mehreren Hundert Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu beziffern. Finanziell hat das
BfV seit 2011 einen Aufwuchs in Höhe von mehreren
Hundert Millionen Euro erfahren. Zentrale Kritikpunkte im ersten NSU-Untersuchungsausschuss, die sich
in den gemeinsamen Empfehlungen ausdrücken, waren das V-Leute-System des BfV, die fehlende Weitergabe von Informationen an die Ermittlungsbehörden
und die faktische Unterstützung der Naziszene durch
das V-Leute-System. Die gesetzliche Veränderung hat
keines der angeführten Probleme grundsätzlich behoben. Nach wie vor werden in Strafverfahren – wie
zuletzt im Prozess um einen Angriff auf eine Kirmesgesellschaft in Ballstädt (Thüringen) - Beweismittel
wie G-10 Protokolle durch Verfassungsschutzämter
zurückgehalten. Das BfV führt noch nicht einmal eine
Statistik zu der Übermittlung von Informationen an Ermittlungsbehörden in Strafverfahren nach §20 BVerfschG. Die Zentralstellenfunktion nutzt das BfV auch,
um die Aktenvorlage in den NSU-Untersuchungsausschüssen durch die Landesämter zu beeinflussen und
zu kontrollieren.
Die getroffenen Einschränkungen bei der Werbung von
V-Leuten (Verbot bei Totschlag oder mit lebenslänglicher Freiheitsstrafe bewährten Delikten) lassen auch
weiterhin schwere Straftaten durch V-Leute zu, die
dann durch eine Entscheidung der Amtsführung angeworben werden dürfen. Nebenklagevertreter*innen
der Opferangehörigen des NSU haben deshalb deutlich
kritisiert, dass nun auf dem Rücken der Angehörigen
und Verletzten der NSU-Mord- und Anschlagsserie und
mit dem Leid, was sie gerade auch durch staatliche Behörden über Jahre hinweg erfahren mussten, in gesetzlicher und finanzieller Hinsicht eine der größten Machterweiterungen des Bundesamtes für Verfassungsschutz
begründet wurde.
Die in den Empfehlungen angemahnten Reformen in
der Daten- und Aktenpflege im BfV sind nicht umgesetzt worden, wie die im Wochenrhythmus entdeckten Handys, SIM-Karten und DVDs des ehemaligen
V-Mannes »Corelli« in den Panzerschränken des BfV
gezeigt haben. Als Beleg für Transparenz und Offenheit
des BfV werden die zahlreichen Medienauftritte des
BfV-Präsidenten angeführt, die für die »Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als Erkenntnisquelle für die aktuelle
Positionierung des Hauses« dienen. Nachdem Präsident
Maaßen in Interviews die Untersuchungsausschüsse
des Bundestages als Hindernisse für die Arbeit des
Amtes bezeichnet hatte – beispielsweise in einem
Interview mit Zeit Online am 9. Juni 2016 - verwundert
das Aussageverhalten von manchen BfV-Zeugen vor
dem zweiten NSU-Untersuchungsausschuss überhaupt
nicht.