Schlussfolgerungen und Reformvorschläge
der Fraktion DIE LINKE
Die Fraktion DIE LINKE unterstreicht, dass ihre Forderungen und Schlussfolgerungen in Bezug auf dringend
notwendige Veränderungen im Bereich der Polizei,
Justiz, des Verfassungsschutzes, der parlamentarischen
Kontrolle von Geheimdiensten und der Förderungen
zivilgesellschaftlicher Initiativen sowie der Integration
von Geflüchteten und der Bekämpfung von Rassismus
im Fraktionsvotum der 17. Wahlperiode nach wie vor
Gültigkeit haben und angesichts der aktuellen Welle
rassistischer Gewalt und Bedrohungen dringend umgesetzt werden sollten.199
Der NSU-Untersuchungsausschuss der 17. Wahlperiode
hatte 47 gemeinsame Empfehlungen aller Fraktionen
ausgesprochen, die als Schlussfolgerungen aus der
Arbeit dieses Ausschusses gezogen wurden und die
auf gemeinsam erkannte Fehler bei Polizei, Justiz und
Verfassungsschutzbehörden sowie die Stärkung zivilgesellschaftlicher Initiativen Bezug nahmen.200 Der von
allen Fraktionen der 17. und auch der 18. Wahlperiode
zum Ausdruck gebrachten Dringlichkeit, diese Empfehlungen möglichst schnell auch umzusetzen, ist es zu
verdanken, dass die Bundesregierung immer wieder mit
diesem Thema konfrontiert wurde und dann teilweise
auch aktiv geworden ist. Allerdings ist der dringend
notwendige Paradigmenwechsel ausgeblieben.
Die Fraktion DIE LINKE hat den Prozess der Umsetzung der Empfehlungen mit zahlreichen mündlichen
und schriftlichen Fragen, mit Kleinen Anfragen, einer
Großen Anfrage zur Umsetzung aller 47 Empfehlungen,
mit Anhörungen zu Gesetzesänderungen und durch
Fachgesprächen mit Vertreterinnen und Vertretern
der Zivilgesellschaft begleitet. Die parlamentarischen
Aufklärung zum NSU, die beharrliche Thematisierung
rechter und rassistischer Gewalt im Parlament und
das große öffentliche Interesse haben nach Ansicht
der Fraktion DIE LINKE allerdings bislang nur in Einzelfällen ein verändertes Handeln von Polizei und Justiz
erzeugt.
So werden beispielsweise, veranlasst durch die regelmäßigen parlamentarischen Anfragen der Fraktion
DIE LINKE, inzwischen durch das BKA die Zahlen der
offenen Haftbefehle gegen Neonazis registriert, die
sich ihrer Verhaftung entziehen: Mit Stichtag 30. März
2017 lagen 596 offene Haftbefehle im Bereich politische
motivierter Kriminalität rechts vor, davon 104 Haftbefehle, denen eine Gewalttat zugrunde lag.201 Aufgrund der
quartalsweise seit dem Jahr 2014 von der Fraktion DIE
LINKE im Bundestag gestellten Kleinen Anfragen zu den
Angriffen auf Geflüchtete und ihre Unterkünfte, werden
seitens des BKA diese Zahlen inzwischen eigenständig
erhoben und in einem seit 2014 erscheinendem quartalsweisen BKA-Clearingstellenbericht »Straftaten gegen
vgl. BT-Drs. 17/14600, S. 983f.
vgl. BT-Drs. 17/14600, S. 829
201
vgl. BT-Drs. 18/12102
199
Asylunterkünfte« aufgeführt. Seit 2016 werden auch die
Straftaten gegen Asylsuchende außerhalb von Unterkünften erfasst, die von zivilgesellschaftlichen Organisationen immer wieder thematisiert werden und auch
von der LINKEN schon mehrfach erfragt wurden.
Bereits zu Beginn der 18. Wahlperiode im Februar
2014 hat die Bundesregierung einen Bericht vorgelegt, in dem die Verwirklichung eines großen Teils der
Empfehlungen behauptet wurde. Tatsächlich hat sich
die Umsetzung zentraler Empfehlungen des Untersuchungsausschusses der 17. Wahlperiode über die
gesamte Legislaturperiode hingezogen. Einzelne Empfehlungen wurden in einer Art und Weise umgesetzt,
die das Problem entweder gar nicht beheben oder noch
weiter verschärfen. In der Qualität der Umsetzung lässt
sich anhand der Beantwortung der Großen Anfrage der
Fraktion DIE LINKEN eine deutliche Differenz zwischen
den Bereichen Polizei, Justiz und Verfassungsschutz
feststellen.202 Während die Ausführungen zur Polizei
detailliert und umfangreich sind, sind sie in den
Bereichen Justiz und Verfassungsschutz sehr allgemein.
Die Tatsache, dass je nachdem, ob man die Zahlen des
BKA oder die der unabhängigen Opferberatungsstellen
zugrunde legt, täglich zwischen vier und acht politisch
rechts motivierte Gewalttaten in Ost- und WestDeutschland verübt werden, macht deutlich, dass
das Ausmaß des Problems durch die bisherigen
Maßnahmen der Bundesregierung nicht erfolgreich
bekämpft wird.
Die Fraktion DIE LINKE hält angesichts der Erfolglosigkeit der bisherigen staatlichen Bekämpfungsmaßnahmen eine Neuausrichtung der gesellschaftlichen und
staatlichen Auseinandersetzung mit gewalttätigen und
organisierten Neonazistrukturen und Rechtsterrorismus
für dringend notwendig.
Obwohl der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages und auch die Untersuchungsausschüsse der
Landtage, beispielsweise des Landtags NordrheinWestfalen, die Arbeit von Strafverfolgungsbehörden,
Justiz und Geheimdiensten umfangreich kritisieren,
bleibt knapp sechs Jahre nach der Selbstenttarnung
des NSU vor allem die bittere Feststellung, dass der
Komplex schon vor Abschluss der parlamentarischen
Untersuchungen durch Sofortmaßnahmen und Gesetzesänderungen diejenige Behörde gestärkt hat, die zu
den Hauptverantwortlichen gehört: Das Bundesamt für
Verfassungsschutz verfügt inzwischen über erheblich
mehr Mittel, mehr Personalstellen und gesetzliche Befugnisse als vor der Selbstenttarnung des NSU.
Von Anfang an waren durch die Exekutive und die Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD vor allem pauschal
das Fehlen gesetzlicher und technisch-organisatorischer Voraussetzungen zum Informationsaustausch
200
202
vgl. BT-Drucksache 18/9331, nachfolgende Zitate vgl. dort.
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