Auskunft über den Gegenstand des Disziplinarverfahrens gegen Lothar Lingen und dessen konkretes
Fehlverhalten geben muss. Da der betreffende Beamte
nicht identifiziert werden könne, weil er »der Öffentlichkeit nur unter seinem Decknamen Lothar Lingen bekannt
sei«, seien »seinen Vertraulichkeitsinteressen daher kein
hohes Gewicht beizumessen.«
Das Verwaltungsgericht Köln hat das Bundesamt für
Verfassungsschutz konkret dazu verurteilt, dem Verlag
DIE ZEIT Auskunft zu den nachfolgenden Fragenkomplexen zu erteilen: Zum Sachstand des Disziplinarverfahrens gegen den ehemaligen Referatsleiter mit dem
Tarnnamen Lothar Lingen und den daraus resultierenden Konsequenzen; zu dem genauen Fehlverhalten, das
dem Mitarbeiter mit dem Tarnnamen Lothar Lingen vorgeworfen wurde; zu den Aufklärungsbemühungen des
BfV, um das Fehlverhalten des Mitarbeiters aufzuklären,
sowie zu deren Dauer und Umfang und zur Anzahl der
im Rahmen dieses Verfahrens befragten Personen;
zu den Einschätzungen über die mögliche Motivation
der Aktenvernichtung durch den Mitarbeiter mit dem
Decknamen Lothar Lingen während der im Rahmen des
Disziplinarverfahrens durchgeführten Vernehmungen
von anderen Mitarbeitern des Bundesamtes für Verfassungsschutz; ob ermittelt wurde, ob der ehemalige Referatsleiter Lothar Lingen mit den von ihm vernichteten
Vorgängen in den Jahren zuvor selbst dienstlich befasst
gewesen ist; zu den Ergebnissen der Ermittlungen im
Rahmen des Disziplinarverfahrens hinsichtlich der
Frage, ob der betreffende Mitarbeiter die Aktenvernichtungen in eigener Zuständigkeit und ohne Rücksprache
mit anderen Mitarbeitern, insbesondere ohne Information seines direkten Vorgesetzten durchgeführt hat
und inwieweit zur Aufklärung des Fehlverhaltens auch
außerhalb des Bundesamtes für Verfassungsschutz
ermittelt und beispielsweise außenstehende Zeugen
vernommen wurden.
Das Verwaltungsgericht Köln hat eine Berufung gegen
das Urteil nicht zugelassen. Dagegen hat das Bundesamt für Verfassungsschutz Rechtsmittel eingelegt, eine
Entscheidung hierzu liegt noch nicht vor.
Schlussfolgerung:
Die Fraktion DIE LINKE ist der Auffassung, dass das
Bundesamt für Verfassungsschutz und die Bundesregierung mit der Verweigerung der Disziplinarakte
des langjährigen Referatsleiters des BfV mit dem
Tarnnamen Lothar Lingen weiterhin eine umfassende
Aufklärung aller zentralen Sachverhalte in Bezug auf
die Aktenvernichtung am 11. November 2011 verhindern
wollen – insbesondere die Fragen nach den Motiven
des Referatsleiters, dessen dienstlicher Befassung
mit den vernichteten Vorgängen und Akten und den
Kenntnissen der Vorgesetzten über die Vernichtungsaktion – und die mangelnde Aufklärung des Sachverhalts
durch den Sonderermittler des BMI, MinDir Engelke,
verschleiern wollen.

2. In der Beweisaufnahme nicht berücksichtigte Komplexe
Aufgrund der knappen Zeit für die Beweisaufnahme
konnte der Untersuchungsausschuss der 18. Wahlperiode eine Reihe von Komplexen nach Ansicht der Fraktion
DIE LINKE nicht ausreichend oder gar nicht untersuchen, die jedoch weiterer parlamentarischer Untersuchungen bedürfen.
2. 1. Gutachten von Forensic Architecture im Fall
Halit Yozgat
Nach dem Mord an Halit Yozgat in Kassel am 6. April
2006 endete nach bisherigen Wissenstand die rassistische Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds. Ein knappes Jahr später wurde die Polizistin
Michéle Kiesewetter in Heilbronn das zehnte Opfer des
Nationalsozialistischen Untergrunds. Zu den zahlreichen offenen Fragen in Bezug auf den Mord an Halit
Yozgat gehört auch die anhaltende Ungewissheit über
die Rolle von Andreas Temme, einem V-Mann Führer
des LfV Hessen am Tatort in Kassel.
Der NSU-Untersuchungsausschuss des hessischen
Landtages und die Fraktion DIE LINKE im hessischen
Landtag beschäftigen sich intensiv mit dem Mord an
Halit Yozgat und dem anschließenden Umgang hessischer Behörden und ihrer Vertreter*innen mit der Anwesenheit von Andreas Temme am Tatort. Nach Ansicht
der Fraktion DIE LINKE ist es dennoch bedauerlich,
dass im Rahmen der Beweisaufnahme des zweiten Untersuchungsausschusses des Bundestages eine erneute
Untersuchung zu den Angaben des V-Mann Führers des
Hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz, Andreas Temme, zu seiner Anwesenheit im Internetcafé des
vom NSU am 6. April 2006 in Kassel ermordeten Halit
Yozgat nicht erfolgen konnte.
Die Fraktion DIE LINKE begrüßt daher ausdrücklich, dass
zivilgesellschaftlichen Initiativen in diesem Zusammenhang weitere Aufklärung fordern und dass auf Initiative
des Tribunals »NSU-Komplex auflösen« im November
2016 dazu ein Gutachten in Auftrag gegeben wurde.
Die renommierte britische Forschergruppe »Forensic
Architecture« hat im April 2017 das Gutachten vorgestellt und auch dem zweiten Untersuchungsausschuss
des Bundestages übersandt, das der Frage nachgeht,
inwieweit die von Andreas Temme wiederholt getroffenen Aussagen zutreffen können, er habe trotz seiner
Anwesenheit in dessen Internetcafé im fraglichen
Zeitraum die tödlichen Schüsse auf Halit Yozgat nicht
mitbekommen; vielmehr habe er das Internet-Café kurz
zuvor verlassen und somit auch nicht den erschossenen Halit Yozgat hinter dem Tresen des Internet-Cafés
liegen gesehen, als er das Internet-Café verließ.
In der dem Untersuchungsausschuss vorliegenden Zusammenfassung der vorläufigen Ergebnisse der Untersuchungen von Forensic Architecture heißt es u.a.:
»Um eine entsprechende Untersuchung durchzuführen,

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