GG sowie dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art.
2 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) überwiege letzteres. Außerdem läge eine Einwilligung der betroffenen Beamten
nach § 111 BBG nicht vor. Mit Beweisbeschluss BMI-46
hatte der Untersuchungsausschuss eine prioritäre
Beiziehung aller Informationen sowie der gesamten
Disziplinarakte des ehemaligen Referatsleiters Lothar
Lingen beschlossen. Das Bundesinnenministerium
führte zur Begründung seiner Verweigerung der entsprechenden Informationen und Akten aus, dass die
Herausgabe ein derart schwerwiegender Eingriff in die
Grundrechte Dritter wäre, dass die parlamentarischen
Kontrollrechte – trotz hinreichender Vorkehrungen
zum Geheimschutz – dahinter zurückstehen müssen.
Die Bundesregierung beruft sich dabei auf das FlickUrteil des BVerfG, wonach dies ausnahmsweise der
Fall sei, wenn die Weitergabe von Informationen wegen
ihres streng persönlichen Charakters unzumutbar sei.
Disziplinarakten seien durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1
Abs. 1 GG) geschützt. Außerdem läge die Einwilligung
nach § 111 BBG nicht vor. Die Disziplinarakte unterliege
dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Zudem habe
der ehemalige Referatsleiter Lothar Lingen der Herausgabe nach § 111 BBG widersprochen. Die Vorlage der
Disziplinarakte würde das Aussageverweigerungsrecht
unterlaufen. Das BfV und das Bundesinnenministerium
haben weder eine Sachakte vorgelegt noch Informationen über die Disziplinarakte mitgeteilt.
Die Fraktion DIE LINKE kritisiert die Rechtsauffassung von BMI und BfV ausdrücklich, da hierdurch
das höherrangige Interesse einer parlamentarischen
Untersuchung nach § 111 BBG ignoriert und die parlamentarischen Kontrollrechte nach § 18 PUAG durch die
Bundesregierung verletzt werden.
Das Untersuchungsrecht gehört zu den wichtigsten
Befugnissen des Parlaments. Die Vorlage der Disziplinarakte im Fall Lothar Lingen ist nach Ansicht der
Fraktion DIE LINKE angesichts des überragenden
öffentlichen Interesses der Allgemeinheit an der Aufklärung der Aktenvernichtung im Bundesamt für Verfassungsschutz am 11. November 2011 und des Punkts 3
des Untersuchungsauftrags des zweiten NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag gerechtfertigt. Die
Fraktion DIE LINKE betont unter Verweis u.a. auf die
Geheimschutzordnung des Deutschen Bundestages
und die Vorlage von Disziplinarakten im Edathy-Untersuchungsausschuss, dass das Aktenherausgaberecht
grundsätzlich Vorrang vor dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht hat, wenn Vorkehrungen für den Geheimnisschutz getroffen werden und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt ist.
Es handelt sich bei den Beweisbeschlüssen auch nicht
um unverhältnismäßige Eingriffe in das Recht auf
informationelle Selbstbestimmung des Beamten Lothar
Lingen. Die Fraktion DIE LINKE verkennt nicht, dass es
sich bei den mit Beweisbeschluss BMI-46 angeforderten
Informationen zwar grundsätzlich um schutzwürdige
Daten handelt. Der Ausschuss bestreitet aber ausdrücklich, dass alle beim Bundesinnenministerium und BfV
angeforderten Informationen einen streng persönlichen
Charakter haben. Die angeforderten Daten betreffen
ausschließlich die berufliche Sphäre des ehemaligen
Referatsleiters Lothar Lingen, der zudem selbst Anlass
gegeben hat, die Aufmerksamkeit des Untersuchungsausschusses zu erregen und dies nicht als Privatperson,
sondern in seiner Funktion als Referatsleiter im Bundesamt für Verfassungsschutz getan hat. Hier geht es auch
nicht um eine umfassende Persönlichkeitsbeurteilung
oder eine Personalakte, sondern um eine Disziplinarakte
eines Referatsleiters zu einem konkreten Fall, bei dem
zudem der Verdacht einer Straftat im Raum steht, so
dass ein gesteigertes Kontrollinteresse des Untersuchungsausschusses gegeben ist.
Die Fraktion DIE LINKE sieht sich in ihrer Rechtsauffassung ausdrücklich durch ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages
vom 28. Februar 2017 bestätigt. Das Gutachten des
Wissenschaftlichen Dienstes verweist u.a. auf eine
Entscheidung des Hamburgischen Verfassungsgerichts, wonach die Exekutive »grundsätzlich alle von
der Bürgerschaft und ihren Ausschüssen angeforderten
Akten, auch wenn sie schutzbedürftige personenbezogene Daten enthalten, unbeschränkt vorlegen« muss.184
Auch das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
hat entschieden, dass das »parlamentarische Recht auf
Aktenvorlage »unabhängig von der Materie und unabhängig von der betroffenen Behörde« besteht und (...)
auch Personalakten umfassen kann.185 In Hinblick auf
die besondere Schutzbedürftigkeit von persönlichen
Daten verweist das Gutachten des Wissenschaftlichen
Dienstes auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in Hinblick auf persönliche Daten in Steuerakten im so genannten »Flick«-Verfahren, wonach »die
Bedeutung, die das Kontrollrecht des Parlaments sowohl
für die parlamentarische Demokratie als auch für das
Ansehen des Staates hat, in der Regel (...) keine Ausnahme und Verkürzung des Aktenherausgabeanspruchs
zugunsten des Schutzes des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (...)« gestattet.186 Zudem, so der Wissenschaftliche Dienst, habe die Exekutive auch in der
Vergangenheit Personal- und/oder Disziplinarakten an
Untersuchungsausschüsse herausgegeben, beispielsweise im ersten NSU-Untersuchungsausschuss des
Bundestages, im Untersuchungsausschuss »Staatschutz« des Bayerischen Landtags sowie im Untersuchungsausschuss »Labor Schottdorf« und im Untersuchungsausschuss »EU-Fördermittel« des Landtags von
Sachsen-Anhalt.
Überwiegendes öffentliches Interesse anstelle des Geheimhaltungsinteresses des Bundesamtes für Verfassungsschutz
Das Verwaltungsgericht Köln hat laut einem dem
Untersuchungsausschuss vorliegenden Urteil vom 12.
November 2015187 entschieden, dass das BfV der Presse
HbgVerfG, Urteil vom 19. Juli 1995, 1/95 (Untersuchungsausschuss
»Hamburger Polizei«)
185
BbgVerfG, Urteil vom 15. März 2007, 42/06 (Trennungsgeld-Affäre)
186
Urteil vom 17. Juli 1984, 2 BvE 11, 15/83 (Flick-Urteil)
187
Az. 6 K 5143/14
184
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