Die Fraktion DIE LINKE kritisiert ausdrücklich, dass
die Staatsanwaltschaft Köln nach der Vorlage des
Abschlussberichts des Untersuchungsausschusses der
17. Wahlperiode am 22. August 2013 dessen Feststellungen zur Aktenvernichtung entweder gar nicht bzw. nur
unvollständig und fehlerhaft zur Kenntnis genommen
hat. Denn der Abschlussbericht stellte u.a. mehrere
Sachverhalte fest, die einen Vorsatz bei der Aktenvernichtung nahegelegt haben und eine eingehendere
Prüfung erfordert hätten. So hatte der Untersuchungsausschuss der 17. Wahlperiode u.a. festgestellt, dass der
Vernichtungsauftrag durch Lothar Lingen undatiert war
und dass der Referatsleiter in den darauffolgenden Wochen erhebliche Energie darauf verwandte, den Vernichtungszeitraum der Akten zu vertuschen. Zudem hatte
der Untersuchungsausschuss der 17. Wahlperiode auch
festgestellt, dass die Akte des V-Mannes »Tarif« auf Anweisung von Lothar Lingen endgültig »einige Tage« nach
dem 11. November 2011 vernichtet worden war, obwohl
dem ehemaligen Referatsleiter Lothar Lingen zu diesem
Zeitpunkt bereits bekannt gewesen war, dass Aktenvernichtungen ausdrücklich nicht erwünscht waren.
Die Fraktion DIE LINKE kritisiert im übrigen, dass die
Staatsanwaltschaft Köln davon ausging, dass alle relevanten Akten im BfV wieder hergestellt worden seien.
Die Beweisaufnahme des 2. Untersuchungsausschusses
hat deutlich gemacht, dass dem ersten Untersuchungsausschuss lediglich ein Bruchteil der rekonstruierbaren
Akten durch das BfV vorgelegt worden sind. Es wäre
daher nach Ansicht der Fraktion DIE LINKE sachlich
geboten gewesen, dass die Staatsanwaltschaft Köln
nach der Vorlage des Abschlussberichts des Bundestagsuntersuchungsausschusses der 17. Wahlperiode
Ermittlungen aufgenommen hätte.
Die Staatsanwaltschaft Köln lehnte unter anderem
auch mit einem fehlerhaften Verweis auf die gesetzliche Regelung für die Speicherung in Dateien (§ 12
BVerfSchG)182 - richtig wäre die Norm für die Speicherung in Akten (§ 13 BVerfSchG) gewesen –, die
Aufnahme förmlicher strafrechtlicher Ermittlungen
gegen Lothar Lingen mangels Vorliegens eines Anfangsverdachts ab. Nach Ansicht der Fraktion DIE LINKE
ist in der Abschlussverfügung die rechtliche Situation
hinsichtlich der sich aus dem BVerfSchG ergebenen datenschutzrechtlichen Verpflichtungen nicht zutreffend
dargestellt. Gesetzlich vorgeschrieben war die Sperrung
statt Vernichtung der Akte. Weder das BVerfSchG noch
höherrangiges Recht sah zum Zeitpunkt der Vernichtungsaktion eine Vernichtungsverpflichtung vor. Im
Gegenteil sprachen der gesetzliche Beobachtungs- und
damit Auswertungsauftrag dafür, diese Akten zum
Zeitpunkt der Enttarnung des NSU aufzubewahren bzw.
zu sichten. Die Fraktion DIE LINKE kritisiert, dass die
Staatsanwaltschaft Köln das Vorliegen eines Anfangsverdachts auf der Grundlage einer fehlerhaften rechtlichen Bewertung verneint hat und die Ermittlungen nicht
schon im Jahr 2013 eingeleitet wurden.
Nach der Vernehmung von Lothar Lingen im Bundes-
tagsuntersuchungsausschuss im September 2016 hatten
u.a. die Vorsitzende des Thüringer Untersuchungsausschusses Dorothea Marx sowie Angehörige eines
NSU-Mordopfers am 5. Oktober 2016 erneut Anzeige
gegen Lothar Lingen erstattet. Die Staatsanwaltschaft
Köln teilte daraufhin den Nebenklagevertretern von
Elif und Gamze Kubaşık, Ehefrau bzw. Tochter des
am 4. April 2016 in Dortmund vom NSU ermordeten
Mehmet Kubaşık am 8. November 2016 mit, sie gehe
davon aus, dass die Aktenvernichtung am 11. November
2011 als »mit den zum Vernichtungszeitpunkt geltenden
hausinternen Aufbewahrungsbestimmungen vereinbar
anzusehen« sei. Zudem teilte sie mit, dass letztlich die
Strafverfolgung wegen einer etwaigen Beteiligung an
den angezeigten Sachverhalten am 10. November 2016
verjähren würde.183 Daraufhin haben sowohl Dorothea
Marx als auch die Nebenklagevertreter von Elif und
Gamze Kubaşık Beschwerde gegen die Verfügung bei
der Staatsanwaltschaft Köln erhoben und diese aufgefordert, durch Ermittlungshandlungen wie beispielsweise die Vernehmung von Lothar Lingen die Verjährung zu
unterbrechen. Am 23. November 2016 teilte die Staatsanwaltschaft Köln Medienberichten zufolge mit, dass
sie am 11. November 2016 nunmehr die Ermittlungen
gegen Lingen wegen Verwahrungsbruch und Urkundenunterdrückung wieder aufgenommen habe, nachdem
ein Journalist sie auf den Abschlussbericht des NSUUntersuchungsausschusses der 17. Wahlperiode und
die darin festgestellte Tatsache hingewiesen hatte, dass
Lothar Lingen auch nach dem 11. November 2011 eine
weitere Akte vernichten ließ.
Die Fraktion DIE LINKE kritisiert zudem ausdrücklich,
dass der Generalbundesanwalt die Aussage des Lothar
Lingen vom 29. Oktober 2014 nicht unmittelbar der
Staatsanwaltschaft Köln zur Kenntnis gebracht hatte,
obwohl auch die Bundesanwaltschaft hätte erkennen
müssen, dass aufgrund seiner Angaben zu seinem
Motiv bei der Aktenvernichtung von der zuständigen
Staatsanwaltschaft Köln strafrechtliche Ermittlungen
einzuleiten waren.
1.2. Zur verweigerten Vorlage der Disziplinar
akte des ehemaligen BfV Referatsleiters Lothar
Lingen und der Verletzung der Vorlagepflicht
gegenüber dem Untersuchungsausschuss durch
die Bundesregierung
Der Untersuchungsausschuss hatte das Bundesamt für
Verfassungsschutz mit Beweisbeschluss BMI-41 dazu
aufgefordert, Auskunft über Anzahl und Gegenstand
sämtlicher Disziplinarverfahren gegen Mitarbeiter des
BfV im Zusammenhang mit dem Vernichten von Akten
am 11. November 2011 zu erteilen. Das BfV teilte daraufhin lediglich mit, dass es drei Disziplinarverfahren
gegeben habe. Zum Gegenstand der Disziplinarverfahren verweigerte das BfV jegliche Auskunft. Das
BfV vertrat die Rechtsauffassung, bei der vorzunehmenden Abwägung zwischen dem Informations- und
Beweiserhebungsrecht nach Art. 33 Abs. 2 und Abs. 5
vgl. Pressemitteilung der Nebenkläger v.d. Behrens, Ilius, Scharmer,
Dr. Stolle vom 8. November 2016, http://bit.ly/2y5msyv
183
182
Abschlussverfügung vom 18.6.2012, MAT_B_BfV-2-10a.pdf, Blatt 10f
58