kannten Terrorgruppe – auch künftig noch eine erhebliche Bedeutung zukommen konnte.173
Nach eigenen Angaben des Referatsleiters Lingen
in seiner Vernehmung durch den Oberstaatsanwalt
beim BGH Weingarten ist gegen ihn eine Disziplinarmaßnahme bestandskräftig verhängt worden, weil er
hätte erkennen müssen, dass die weitere Verwahrung
der Akten dienstlich geboten war, gerade um weitere
absehbare Prüfungen zu ermöglichen.174
Das Oberverwaltungsgericht NRW nennt die Vernichtungsanordnung ein der Vernunft und Weisungslage
nicht entsprechendes und damit als Fehlleistung zu
würdigendes Verhalten mit leicht zu erkennender erheblicher Bedeutung und Brisanz.175
Rechtliche Würdigung
Im Einzelnen sind nach alledem Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Angaben von dem ehemaligen Referatsleiter Lothar Lingen zur geänderten Praxis geboten, die
gesetzlich und verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt
war. Selbst wenn man die gesetzeswidrige interne
Regelung zur Aktenvernichtung (Nr. 14 Abs. 2 DVBeschaffung) zugrunde legt, hat die konkret von Lingen
umgesetzte Vernichtung sogar gegen deren Vorgaben
verstoßen.
Bewertung der Glaubhaftigkeit der Angaben
zur geänderten Vernichtungspraxis
Hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung der umfangreichen Vernichtung widersprechen sich die Feststellungen des OVG NRW und die des Zeugen Lingen: Das
OVG datiert eine solche »konzertierte Aktion« auf Januar
2011 und spricht allgemein von Altakten, bei denen eine
Vernichtungsfrist von zehn Jahren zugrunde gelegt
worden sei. Betroffen wären danach Akten bis zum Jahr
2001 gewesen. Mindestens eine der betroffenen Akten
(»Treppe«), vielleicht sogar drei (»Tobago« und »Tonfall«)
hätte danach bereits vernichtet sein müssen. Lingen
spricht anders als das OVG NRW hingegen insoweit mit
seinen sonstigen Behauptungen kohärent von Beschaffungsakten, die (nach seiner Aussage im Oktober 2014)
im Jahr 2009 bzw. 2010 älter als fünfzehn Jahre waren.
Hier wären also nur Akten betroffen gewesen, die bis
spätestens 1996 abgeschlossen waren.
Die angeblich geänderte Vernichtungspraxis wirft
aber auch hinsichtlich ihrer Ausgestaltung Fragen auf:
Während Lingen die Vernichtungsanordnung der betroffenen sechs V-Mann-Akten sowie die Werbungsakte
mit einer entsprechend der neuen Praxis generellen
Prüfungspflicht hinsichtlich der weiteren dienstlichen
Erforderlichkeit der Akten begründet, gibt die Bürosachbearbeiterin N. an, Lingen gegenüber geäußert zu
haben, V-Mann-Akten würden nicht vernichtet.
OVG Köln, Beschl. v. 28.06.2013, Az. 1 B 1307/12 - 15 L 995/12
Köln, MAT_B_BfV-2-10b.pdf, Bl. 15
174
(MAT A GBA-20-10 (Ordner 25 von 54), S. 164).
175
(OVG Köln, Beschl. v. 28.06.2013, Az. 1 B 1307/12 - 15 L 995/12
Köln, MAT_B_BfV-2-10b.pdf, Bl. 14)
173
56
Ungesetzlichkeit der Vernichtung
Nach den Ausführungen zur Rechtslage war eine
Änderung der Praxis wie sie von Lingen und Fromm
dargestellt wurde, weder von Gesetzes wegen noch
aufgrund einer Änderung der Rechtsprechung geboten. Das Gesetz sah nicht vor, dass Akten vernichtet
werden sollten, sondern allenfalls, dass Sperrvermerke angebracht werden sollten. Wie von Droste
ausgeführt (S. 435) sprechen insbesondere bei
V-Mann-Akten nicht die allgemein geltenden Grundsätze der Aktenvollständigkeit und Aktenwahrheit,
sondern auch Gründe der Nachsorge für eine weitere
Aufbewahrung.
Die Fraktion DIE LINKE ist der Ansicht, dass Lothar
Lingen von Gesetzes wegen, wenn nach seiner Ansicht
die weitere Aufbewahrung bestimmter Akten(-Teile)
nicht mehr erforderlich war, er diese allenfalls mit
Sperr-Vermerken hätte versehen dürfen, sie aber nicht
vernichten durfte.
Verstoß gegen Nr. 14 Abs. 2 DV-Beschaffung
Allerdings ist die Fraktion DIE LINKE der Ansicht,
dass Lother Lingen die weitere Aufbewahrung aus
Rechtsgründen für erforderlich halten musste und die
Akten - selbst wenn er in Unkenntnis der Gesetzlage
nach der (gesetzwidrigen) BfV-internen Regelung hätte
handeln wollen - auch nach dieser Regelung nicht
hätte vernichten dürfen. Auch nach der BfV-internen
Regelung sollen nur Akten vernichtet werden, deren
weitere Aufbewahrung für die weitere Aufgabenerfüllung durch das BfV nicht erforderlich ist. Und die von
Lingen zur Vernichtung freigegebenen Akten waren
zum Zeitpunkt der Anordnung der Vernichtung für die
weitere Aufgabenerfüllung relevant.
Die Facharbeit/Aufgabenerfüllung des BfV umfasste
im November 2011 die Aufklärung auch der Ursprünge
des NSU und die Abklärung seiner mutmaßlichen
Mitglieder und Unterstützer. Wie der Abteilungsleiter
des Referatsleiters Lingen feststellte, waren diese
Akten aktuell auszuwerten und damit virulent. Ihnen
konnte – wie er weiter angab – wegen möglicher
weiterer Erkenntnisse bezüglich der – nach seinen
Worten erst später als »NSU« erkannten – Terrorgruppe auch künftig noch eine erhebliche Bedeutung
zukommen.
Die Motivation Lingens, der »früher in anderen
Zusammenhängen bereits die Erfahrung gemacht
[hatte], dass vorhandene Akten, nach denen gefragt
wird, zu endlosen Prüfaufträgen fuhren können«,
solche Prüfungen zu verhindern, widersprach schon
bei der ersten Anordnung den Vorgaben, nur Akten
zu vernichten, die nicht mehr erforderlich waren.
Solange Prüfaufträge vorlagen oder noch zu erwarten waren, waren die Akten auch noch erforderlich.
Dies gilt erst recht für die noch nach einigen Tagen
vernichteten Aktenbestandteile, die ohne weitere
Prüfung vernichtet wurden, obwohl Lingen selbst zwischenzeitlich per E-Mail kund getan hatte, dass P/L2