Jahre gewesen seien, hätten vernichtet werden sollen.163
Ähnlich hat der Zeuge Lingen bei seiner Vernehmung
im zweiten Bundestagsuntersuchungsausschuss
angegeben, dass es in der Beschaffung eine »gerade
mal zwei Jahre alte« Fristsetzung gebe, wonach Akten
dann zu löschen seien, wenn sie dienstlich nicht mehr
notwendig sind.164 Auch bei seiner Vernehmung durch
den Oberstaatsanwalt beim BGH Weingarten am 29.
Oktober 2014 hat Lingen angegeben, es habe im Jahr
2009 eine Änderung der Praxis im Umgang mit Akten
gegeben. Konkret führte er aus: »Im Zusammenhang mit
den in den Jahren 2009 und 2010 durchgeführten Prüfungen wurden schließlich massenhaft Beschaffungsakten
vernichtet, die eben älter als fünfzehn Jahre waren und
bei denen eine andauernde Relevanz nicht bestand und
für die Zukunft auch nicht zu prognostizieren war.«
Für die nach Abschluss dieser Prüfung der 15 Jahre
alten Akten in den Jahren 2009 und 2010 noch verbleibenden Akten »sollte«, so Lingen bei seiner Vernehmung durch den Oberstaatsanwalt beim BGH Weingarten am 29. Oktober 2014, »für die Zukunft gelten, dass
die Prüfung der Erforderlichkeit der weiteren Verwahrung einer Altakte anlassbezogen zu erfolgen hatte,
praktisch also immer dann, wenn eine solche Akte auf
dem Tisch lag. Definierte Prüfzeitpunkte gab es meiner
Erinnerung nach nicht.«
Das Oberverwaltungsgericht NRW geht in seiner Entscheidung bezüglich des Disziplinarverfahrens gegen
den Referatsgruppenleiter vom 23. Juni 2013165 davon
aus, dass es im Januar 2011 eine in der Abteilung (und
darüber hinaus) bekannte konzertierte, großangelegte
Aktion der Vernichtung von Altakten gegeben hat, bei
der eine Vernichtungsfrist von zehn Jahren (2001-2011)
zugrunde gelegt worden war. Von einer solchen Vernichtungsaktion im Januar 2011 sprachen auch der damalige Verfassungsschutzpräsident Fromm bei seiner
Vernehmung vor dem NSU-Untersuchungsausschuss
der 17. Wahlperiode und der Sonderermittler MinDir
Engelke.166 Zu dieser »konzertierten Aktion« im Januar
2011 hat sich der Zeuge Lingen hingegen auf sein Aussageverweigerungsrecht nach § 22 PUAG berufen.167
Abläufe der Löschung nach dem 4. November 2011
Nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts
NRW in seinem Beschluss bezüglich des gegen den
Abteilungsleiter geführten Disziplinarverfahrens vom
28. Juni 2013 (Az. 1 B 1307/ 12 - 15 L 995/12 Köln) haben in
dem gegen den Referatsleiter Lingen (Herrn A.M.) eröffneten Disziplinarverfahren der Abteilungsleiter sowie
der Referatsgruppenleiter D. als Zeugen im Kern übereinstimmend angegeben, Letzterer habe seine Mitarbeiter wohl am Montag, den 7. November 2011, oder am
Dienstag, den 8. November 2011, darauf hingewiesen,
Abschlussbericht, S. 750, Fn 6555: Engelke, Protokoll-Nr. 34, S. 108
24. Sitzung am 05.07.2012 - Zeugenvernehmung: Nichtöffentlich, S.
6f, S. 15
165
1 B 1373/12 – 15 L 1012/12 Köln, MAT_B_BfV-2-10c.pdf, Bl. 12
166
Abschlussbericht, S. 751, Fn. 6566: Fromm, Protokoll Nr. 24, S. 8
167
Abschlussbericht S. 757, Fn. 6615: Lingen, Protokoll Nr. 24/17.
Wahlperiode (nichtöffentlich), S. 18.
dass ab sofort nur noch die wegen des Falles »Mundlos,
Böhnhardt und Zschäpe« anstehende Aktenaufarbeitung stattzufinden habe und dass keine Akten mehr zu
vernichten seien168. Das Oberverwaltungsgericht hat
festgehalten, dass es keine Erkenntnisse hat, die dieses
Vorbringen in Zweifel ziehen könnten.
Gleichwohl hat der Referatsleiter Lingen am 10. November 2011 die Vernichtung von sieben P-Akten, im
Einzelnen einer Werbungsakte Tobago und der sechs
VM-Akten Tusche, »Treppe«, Tonfarbe, »Tacho«, »Tarif«
und »Tinte« angeordnet.
Die für die Durchführung der Vernichtung zuständige
Bürosachbearbeiterin, die Zeugin N., hat angegeben,
Lingen danach gefragt zu haben, ob die Akten, auf die
sich seine Anordnung bezog, VM- oder Werbungsakten
seien. Als er gesagt habe, es seien V-Mann-Akten, habe
sie erwidert: »Die werden doch nicht vernichtet.«169 Die
Zeugin N. hat weiter angegeben, vor der physischen
Vernichtung der Akten am 11. November 2011 habe sie
auch die dazugehörigen Dateien gelöscht.170
Am 11. November 2011 um 15.21 Uhr habe der Referatsleiter Lingen an alle Mitarbeiter seines Referats, die Bürosachbearbeiterin und den Gruppenleiter gemailt: »Hallo,
hallo zusammen, ich bitte Dich, die zur Vernichtung
anstehenden Akten nicht zu vernichten. P/L2 [Präsident/
Abteilungsleiter2] wünscht eine erneute Prüfung der Akten nach Aliasnamen der drei Rechtsextremisten.« 171
Nach dem Engelke-Bericht hat die Bürosachbearbeiterin N. einige Tage nach dem 11. November 2011 in der
Registratur einen weiteren Aktenordner gefunden, der
eigentlich am 11. November 2011 hätte vernichtet werden
müssen. Es habe sich um einen »Zufallsfund« anlässlich
der fortlaufenden Aufgabe, weitere Akten zu Prüfzwecken zu bearbeiten, gehandelt. In seinem Bericht hat
der Sonderbeauftragte angegeben, der Zufallsfund
erkläre sich durch die Umstellung der Organisation
der Aktenvernichtung. Frau N. habe über diesen Fund
sofort den Referatsleiter Lingen informiert und gefragt,
was mit der Akte passieren solle. Dieser habe die Akte
kurz durchgeblättert und mündlich deren Vernichtung
angeordnet. 172
Externe Bewertung
Der Abteilungsleiter der Abteilung des Referatsleiters
Lingen hat nach den Feststellungen des OVG NRW in
seiner Vernehmung als Zeuge in dem gegen Lingen
gerichteten Disziplinarverfahren demgegenüber darauf
hingewiesen, dass es eine Selbstverständlichkeit sein
musste, nicht solche Akten einer turnusmäßigen Vernichtung zuzuführen, die aktuell auszuwerten und damit
virulent waren und denen – wegen möglicher weiterer
Erkenntnisse bezüglich der erst später als »NSU« er-
163
164
MAT_B_BfV-2-10b.pdf, Bl. 15
Abschlussbericht, S. 760f Fn. 6664: N., MAT A Z-70/4, S. 21
(Abschlussbericht, S. 763, Fn. 6694: N., MAT A Z-70/4, S. 21).
171
(Abschlussbericht, S. 763).
172
(Abschlussbericht, S. 764, Fn. 6723f: Engelke-Bericht, MAT B BfV2/4. S. 34f), die auch erfolgte (Abschlussbericht, S. 765).
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