Rechtliche Bewertungen im Kontext der Beweisaufnahme
1. Die Aktenvernichtungen im Bundesamt
für Verfassungsschutz am 11. November 2011
und in den Tagen danach
Die Fraktion Die LINKE bewertet die Aktenvernichtungen im Bundesamt für Verfassungsschutz am 11.
November 2011 und in den Tagen danach als Urkundenunterdrückung und Verwahrungsbruch. Die Fraktion DIE
LINKE kritisiert in diesem Zusammenhang ausdrücklich,
dass die Vernichtung der Akten im BfV bis heute zur
Behinderung der Aufklärung im NSU-Komplex beiträgt.
Seit der Aktenvernichtung am 11. November 2011 in Köln
reden BfV und das Bundesinnenministerium die Bedeutung der Aktenvernichtung klein, stellen sich schützend
vor den Referatsleiter Lothar Lingen und blockieren
noch immer eine tatsächlich umfassende parlamentarische und strafrechtliche Aufarbeitung der Vorgänge im
BfV am 11. November und danach.
Zusammenfassung der Rechtslage zum Zeit­
punkt der Aktenvernichtung im November 2011
Die Gesetzeslage war im Jahr 2011 so, dass die datenschutzrechtliche Bewertung der Speicherung personenbezogener Daten beim BfV danach unterschieden
wurde, ob es sich um Daten in Dateien oder Akten
handelte. Während bei dateimäßig erfassten Daten
unter bestimmten Voraussetzungen eine Löschung vorgesehen war, galt für Daten in Akten nach dem Gesetz
etwas anderes. Solche Daten sollten gesperrt werden.
Sperrung bedeutete das Anbringen eines so genannten
Sperr-Vermerks, nicht die Schwärzung oder Vernichtung. In dieser Form gesperrte Akten können sowohl
dem Bundesministerium des Innern im Rahmen der
Fachaufsicht als auch den parlamentarischen Kontrollgremien noch vorgelegt werden.
Soweit die Dienstvorschrift (DV) Beschaffung als einzige, dem Untersuchungsausschuss bekannt gemachte
interne Richtlinie etwas anderes vorsah, entsprach das
zu diesem Zeitpunkt nicht den gesetzlichen Vorgaben
und auch nicht der Auslegung des Bundesverfassungsschutzgesetzes (BVerfSchG) unter Berücksichtigung des
Verfassungsrechts durch die Gerichte. Die Verfassungsund Verwaltungsrechtlerin und ehemalige BfV-Mitarbeiterin Bernadette Droste, die das bis heute einzige
umfangreiche Handbuch zum BVerfSchG geschrieben
hat, beschreibt darin im Jahr 2007 die Praxis auch
genau entsprechend dieser Vorgaben des Gesetzes. In
diesem – von einer mit den Interna des BfV vertrauten
Mitarbeiterin geschriebenem – Buch wird auch herausgestellt, dass V-Personen-Akten im Rahmen der
Nachsorge grundsätzlich aufzubewahren sind.

Löschungen von Akten in der Beschaffung
vor November 2011
Entsprechend einer Vereinbarung mit dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit soll das BfV bereits im Jahr 2011 mit solchen Akten
bzw. Aktenteilen, deren elektronische Pendant nach
§ 12 Abs. 2 BVerfSchG gelöscht werden musste161, schon
nicht entsprechend der oben dargestellten gesetzlichen Vorgaben verfahren sein. Diese Akten/Aktenteile
vernichtete bzw. löste das BfV auf. Nach Ansicht von
Droste kam in diesen Fällen eine Vernichtung statt
einer Sperrung in Betracht, weil sie mit Rücksicht auf
den Sachzusammenhang und Aufwand vertretbar war
(S. 448) und weil § 20 Abs. 3 Nr. 3 BDSG eine entsprechende Orientierung am Aufwand vorsieht.
Hinsichtlich anderer Daten in Akten als solcher, für die
nach Angaben des Bundesbeauftragten für den Datenschutz diese Ausnahme galt, soll es nach Angaben von
MinDir Engelke und Lothar Lingen zwei Jahre vor den
Aktenvernichtungen vom 11. November 2011 und in der
Folgezeit eine Änderung der Praxis gegeben haben.
Während vorher in der Beschaffung überhaupt keine
Akten gelöscht/vernichtet worden seien, habe es dann
eine Änderung der internen Vorgaben gegeben.
Dazu hat der ehemalige Referatsleiter im BfV Lothar
Lingen bei seiner Vernehmung durch den Oberstaatsanwalt beim BGH Weingarten am 29. Oktober 2014
ausgesagt: »Bis zum Jahre 2009 war im Bereich der
Beschaffung die interne Verwaltungspraxis aber so, dass
man davon ausging, dass in diesem Bereich die dauerhafte Verwahrung des Aktenbestandes ohne nähere
Einzelfallprüfung per se erforderlich ist«. Für Lingen war
nach seinen Angaben im NSU-Untersuchungsausschuss
der 17. Wahlperiode der Grund dafür, dass »wir […]
gesammelt haben, dass wir in der Beschaffung anders
als in der Auswertung natürlich über unsere Operativfälle deshalb gerne über Jahre Bescheid wissen, weil es
ja sein kann, dass wir auf ein und dieselbe Zielperson
- […] ansonsten zweimal zugehen würden, wenn wir da
keinen Aktenrückhalt hätten. Deshalb gab es die Tendenz, Beschaffungsakten sehr lange aufzubewahren […]
die Regale waren sehr aufnahmefähig dafür.«162 Nach
internen Diskussionen sei ab 2009/2010 die Aufbewahrungspraxis im Bereich Beschaffung geändert worden.
Dazu hat der Zeuge Engelke im NSU-Untersuchungsausschuss der 17. Wahlperiode ausgesagt, dass es seit
August 2010 eine interne Anweisung des Präsidenten
des BfV gegeben habe, wonach die Zehnjahresfrist
des § 12 BVerfSchG auch für Beschaffungsakten gelte.
Bereits zuvor habe es die interne Anweisung des Abteilungsleiters gegeben, wonach Akten, die älter als 15
Stellungnahme des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die
Informationsfreiheit Schaar v. 1.08.2012, 2. BT-UA NSU, AusschussDrs. 220, S. 4; so auch Engelke laut Abschlussbericht S. 750, Fn. 6549:
Engelke-Bericht, MAT B BfV-2/9 (VS-NfD), S. 13
162
24. Sitzung am 05.07.2012 - Zeugenvernehmung: Nichtöffentlich, S.
12
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