den so genannten »Stammtisch« des »THSes« besucht,
in dem auch die Kameradschaft Jena um Mundlos,
Böhnhardt und Zschäpe organisiert war. Das bayerische
Landesamt für Verfassungsschutz, das Kai D. von Ende
1987 bis 1998 als so genannte »Quelle« führte, war durch
den in Franken lebenden V-Mann quasi in Echtzeit mit
dabei, als das mutmaßliche NSU-Kerntrio und seine
Jenaer Unterstützer*innen ihre Militanz u.a. durch Angriffe auf junge Linke, Migrant_innen und Polizeibeamte
sowie mit einer Serie von Bombenattrappen und einem
Brandanschlag auf eine von portugiesischen Wanderarbeitern bewohnte Unterkunft bei Saalfeld steigerte.
Auch die Strafverfolger in Thüringen hielten Kai D. für
eine wichtige Figur in der Thüringischen Neonaziszene:
Sie ermittelten ab Sommer 1996 u.a. gegen Kai D. und
zehn weitere Neonazis aus dem Umfeld des »THSes«
wegen des Verdachts der »Bildung einer kriminellen
Vereinigung« nach §129 StGB. Eingestellt wurde das
Ermittlungsverfahren am 10. November 1997 – wenige
Wochen vor der Flucht des NSU-Kerntrios aus Jena
nach Chemnitz.148 Es war schon das dritte Mal, dass ein
Ermittlungsverfahren wegen »Bildung einer kriminellen
Vereinigung« nach §129 StGB gegen Kai D. sang- und
klanglos eingestellt wurde. Als 1993 unter dem Namen
»Einblick« eine bundesweite Feindliste von politischen
Gegner*innen der Neonazibewegung erschien – mit
Steckbriefen von aktiven Gewerkschafter*innen, engagierte Antifaschist*innen, Kommunalpolitiker*innen von
SPD, Grünen und PDS mitsamt Fotos und Adressen - ,
ermittelte die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe gegen
die Macher des »Einblicks«: Der Verdacht der »Bildung
einer kriminellen Vereinigung« richtete sich u.a. gegen
Kai D..149 Fast zeitgleich gehörte Kai D. auch zu einem
Kreis bundesweit führender Neonazis aus dem Netzwerk »Freier Kameradschaften«, gegen die der Generalbundesanwalt wegen der Verbreitung von so genannten
»Feindlisten« im »Thule-Netz« – einem Vorläufer von
neonazistischen Internetforen – ermittelte.
Kai D. gehörte zu einem kleinen Kreis von Neonazis
aus West- und Ostdeutschland, die von 1993 bis Ende
1999 mit so genannten Mailboxen das konspirative
Kommunikations-System »Thule-Netz« aufbauten. Mit
Kai D., der unter dem Pseudonym »Undertaker« – »Bestatter« – die Mailbox Kraftwerk BBS/Weissenbrunn
betreute, und dem ebenfalls auf der Mundlos-Adressliste aufgeführten Thomas R. alias V-Mann Corelli
des Bundesamtes für Verfassungsschutz, der unter
dem Pseudonym »SoRevo BBS/Berlin« ebenfalls eine
wichtige Schnittstelle des »Thule-Netzes« verwaltete,
hatten die Geheimdienste gleich über zwei Mailboxen Zugang zu der Kommunikation der militantesten
Neonazinetzwerke der 1990er Jahre u.a. aus Thüringen,
Bayern, Nordrhein-Westfalen und Hessen sowie deren
internationale Partner in Österreich, Norwegen und
den Niederlanden.150

Wie schon zuvor im »Einblick« fanden sich auch im
»Thule Netz« lange Listen mit Namen und Adressen von
Polizeibeamten, Richter*innen und Staatsanwält*innen
– sowie eine Anleitung zur Herstellung von Sprengstoff.
Als die Ermittlungen gegen Kai D. im Zusammenhang
mit seiner Rolle beim »Thule-Netz« im Juli 2000 eingestellt wurden, begründete der sachbearbeitende Bundesanwalt dies explizit mit dessen Tätigkeit als »Quelle«
des bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz:
»Wegen der V-Mann-Tätigkeit« sei davon auszugehen,
dass die »Unterstützungshandlungen« von Kai D.
»entweder gerechtfertigt« gewesen seien »oder zumindest einem angesichts der Sachlage unvermeidbaren
Verbotsirrtum« unterlegen hätten.151
Dass Kai D. mehr als ein Jahrzehnt lang immer dort eine
führende Rolle übernahm, wo Neonazis neue Organisationsstrukturen aufbauten und eine extrem rechte Parallelwelt schufen, die die Aktivisten der »Generation Pogrom«
und damit auch das NSU-Kerntrio und seine wichtigsten
Unterstützerinnen und Unterstützer sozialisierte und
politisch prägte, war kein Zufall. Denn Kai D. gehörte über
Jahre hinweg zu den Kadern der so genannten »Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front« (GdNF).152 Deren
25-Punkte-Programm orientiert sich am Parteiprogramm
der historischen NSDAP. Politische Ziele sind der Aufbau
von Vorfeldorganisationen für eine neue NSDAP und eine
neue SA.153 Ganz im Sinn dieser Strategie organisierten
GdNF-Kader wie Kai D. und der von ihm angeleitete
thüringische Neonazi, V-Mann und Wegbegleiter des
NSU-Kerntrios, Tino Brandt, sowohl paramilitärische
Wehrsportübungen als auch über Jahre hinweg RudolfHess-Aufmärsche mit mehreren tausend Teilnehmern
als Kristallisationspunkte für die Neonazibewegung der
1990er. Dazu gehörte auch der Aufmarsch von knapp 7.000
Alt- und Neonazis gegen die Ausstellung »Verbrechen der
Wehrmacht« 1997 in München. Auch Beate Zschäpe, Uwe
Mundlos und Uwe Böhnhardt nahmen regelmäßig an diesen identitätsstiftenden Demonstrationen teil.
Im Rahmen dieser Aufmärsche fanden fast immer
wichtige Strategie- und Planungstreffen führender
Neonaziaktivisten statt: Beispielsweise am 15. August
1992, als am Rand des Rudolf-Hess-Aufmarsches mit
rund 2.000 Teilnehmenden im thüringischen Rudolstadt
Absprachen für das Pogrom von Rostock-Lichtenhagen
getroffen wurden.154 Während des Aufmarsches war
schon der »Aufbruch«, die Zeitschrift der »Nationalistischen Front« verteilt worden, die in ihrer Augustausgabe 1992 mit dem Titelblatt »Come together in Rostock«
die bundesweite Neonaziszene zu einer angemeldeten
Kundgebung nach Rostock mobilisierte. Aus dieser
Kundgebung entwickelte sich dann vom 22. – 24. August
1992 das Pogrom von Rostock-Lichtenhagen. An dessen
Ende setzten mehrere hundert Brandflaschen und
ebenda
ebenda, »Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front« (GdNF), S. 269f.
153
Zum Geflecht der GdNF und deren Bedeutung in der Neonazibewegung der 1980er/90er Jahre vgl. Antifaschistisches Autorenkollektiv
(Hg.) Drahtzieher im braunen Netz: Der Wiederaufbau der NSDAP«
Berlin/Amsterdam o.J., S. 37f., 56f.
154
vgl. Antifaschistisches Autorenkollektiv (Hg.) »Drahtzieher im Braunen
Netz«, Amsterdam/Berlin 1993
151
152

vgl. Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses des Dt.
Bundestages, 17/14600, S. 148f.
149
vgl. Untersuchungsausschuss Rechtsterrorismus in Bayern, Drucksache 16/17740, http://bit.ly/2acT3F7, S. 73ff.
150
vgl. »Thule Netz« in: Jens Mecklenburg (Hg.) Handbuch Deutscher
Rechtsextremismus, Berlin/1996, S. 310f.
148

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