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Anlage 24 (zu Nr. 11.3.3)
Entschließung der 64. Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder
vom 24. bis 25. Oktober 2002 zu:
Systematische verdachtslose Datenspeicherung in der Telekommunikation und im Internet
Gegenwärtig werden sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene Vorschläge erörtert, die den Datenschutz
im Bereich der Telekommunikation und der Internetnutzung
und insbesondere den Schutz des Telekommunikationsgeheimnisses grundlegend infrage stellen.
Geplant ist, alle Anbieter von Telekommunikations- und
Multimediadiensten zur verdachtslosen Speicherung sämtlicher Bestands-, Verbindungs-, Nutzungs- und Abrechnungsdaten auf Vorrat für Mindestfristen von einem Jahr und
mehr zu verpflichten, auch wenn sie für die Geschäftszwecke der Anbieter nicht (mehr) notwendig sind. Das so entstehende umfassende Datenreservoir soll dem Zugriff der
Strafverfolgungsbehörden, der Polizei und des Verfassungsschutzes bei möglichen Anlässen in der Zukunft unterliegen. Auch auf europäischer Ebene werden im Rahmen der
Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten in den Bereichen „Justiz und Inneres“ entsprechende Maßnahmen – allerdings unter weit gehendem Ausschluss der Öffentlichkeit – diskutiert.
Die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder treten diesen Überlegungen mit Entschiedenheit entgegen. Sie
haben schon mehrfach die Bedeutung des Telekommunikationsgeheimnisses als unabdingbare Voraussetzung für eine
freiheitliche demokratische Kommunikationsgesellschaft
hervorgehoben. Immer mehr menschliche Lebensäußerungen finden heute in elektronischen Netzen statt. Sie würden
bei einer Verwirklichung der genannten Pläne einem ungleich
höheren Überwachungsdruck ausgesetzt als vergleichbare
Lebensäußerungen in der realen Welt. Bisher muss niemand
bei der Aufgabe eines einfachen Briefes im Postamt seinen
Personalausweis vorlegen oder in einer öffentlichen Bibliothek registrieren lassen, welche Seite er in welchem Buch aufschlägt. Eine vergleichbar umfassende Kontrolle entsprechender Online-Aktivitäten (E-Mail-Versand, Nutzung des
WorldWideWeb), wie sie jetzt erwogen wird, ist ebenso wenig hinnehmbar.
Zudem hat der Gesetzgeber erst vor kurzem die Befugnisse
der Strafverfolgungsbehörden erneut deutlich erweitert. Die
praktischen Erfahrungen mit diesen Regelungen sind von
unabhängiger Seite zu evaluieren, bevor weiter gehende Befugnisse diskutiert werden.
Die Konferenz der europäischen Datenschutzbeauftragten
hat in ihrer Erklärung vom 11. September 2002 betont, dass
eine flächendeckende anlassunabhängige Speicherung sämtlicher Daten, die bei der zunehmenden Nutzung von öffentlichen Kommunikationsnetzen entstehen, unverhältnismäßig
und mit dem Menschenrecht auf Achtung des Privatlebens
unvereinbar wäre. Auch in den Vereinigten Staaten sind vergleichbare Maßnahmen nicht vorgesehen.
Mit dem deutschen Verfassungsrecht ist eine verdachtslose
routinemäßige Speicherung sämtlicher bei der Nutzung von
Kommunikationsnetzen anfallender Daten auf Vorrat nicht
zu vereinbaren. Auch die Rechtsprechung des Europäischen
Gerichtshofs lässt eine solche Vorratsspeicherung aus Gründen bloßer Nützlichkeit nicht zu.
Die Konferenz fordert die Bundesregierung deshalb auf, für
mehr Transparenz der Beratungen auf europäischer Regierungsebene einzutreten und insbesondere einer Regelung
zur flächendeckenden Vorratsdatenspeicherung nicht zuzustimmen.
BfD 19. Tätigkeitsbericht 2001–2002