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Anlage 21 (zu Nr. 28.3)
Entschließung der 62. Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder
vom 24. bis 26. Oktober 2001:
Datenschutzrechtliche Anforderungen an den „Arzneimittelpass“ (Medikamentenchipkarte)

Vor dem Hintergrund der Lipobay-Diskussion hat das Bundesministerium für Gesundheit die Einführung eines „Arzneimittelpasses“ in Form einer (elektronisch nutzbaren) Medikamentenchipkarte befürwortet; auf der Karte sollen alle
ärztlichen Verordnungen verzeichnet werden. Damit soll
eine größere Transparenz der Arzneimittelverordnungen erreicht werden. Bisher ist nicht ansatzweise belegt, dass die
bekannt gewordenen Gefahren für die Patientinnen und Patienten dadurch entstanden sind, dass verschiedene Ärztinnen und Ärzte ohne Kenntnis voneinander unverträgliche
Medikamente verordnet hätten. Deswegen ist auch nicht ersichtlich, dass die aufgetretenen Probleme mit einem Arzneimittelpass hätten verhindert werden können.

der Betroffenen (auch als Versicherte). Sie müssen entscheiden können,

Aus datenschutzrechtlicher Sicht bestehen erhebliche Bedenken gegen eine Medikamentenchipkarte als Pflichtkarte.
Die Datenschutzbeauftragten begrüßen es daher ausdrücklich, dass der Gedanke einer Pflichtkarte fallen gelassen
wurde. Die Patientinnen und Patienten würden sonst rechtlich oder faktisch gezwungen, die ihnen verordneten Medikamente und damit zumeist auch ihre Erkrankung bei jedem
Arzt- und/oder Apothekenbesuch ohne ihren Willen zu offenbaren. Dies würde eine wesentliche Einschränkung des
Arztgeheimnisses bewirken, das auch gegenüber anderen
Ärztinnen und Ärzten gilt. Zudem würde sich dadurch das
Vertrauensverhältnis, das für die Behandlung und für eine
funktionierende Gesundheitsfürsorge insgesamt unabdingbar ist, grundlegend verändern. Darüber hinaus wäre das
Einholen einer unbeeinflussten Zweitmeinung nahezu ausgeschlossen.

Die Verantwortung für die Wahrung der Arzneimittelsicherheit tragen grundsätzlich die Ärztinnen und Ärzte sowie die
Apothekerinnen und Apotheker. Sie darf nicht auf die Betroffenen abgewälzt werden. Dies gilt auch, wenn sie von
dem „Arzneimittelpass“ keinen Gebrauch machen.

Die freie und unbeeinflusste Entscheidung der Patientinnen
und Patienten über Einsatz und Verwendung der Karte muss
gewährleistet werden (Grundsatz der Freiwilligkeit).
Die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder
haben bereits auf ihrer 47. Konferenz im März 1994 und auf
ihrer 50. Konferenz im November 1995 zum freiwilligen
Einsatz von Chipkarten im Gesundheitswesen Stellung genommen; deren Zulässigkeit wird dort von verschiedenen
Bedingungen zur Sicherung des Persönlichkeitsrechts der
Patientinnen und Patienten abhängig gemacht. Grundlegende Voraussetzung ist vor allem die freie Entscheidung

BfD 19. Tätigkeitsbericht 2001–2002

– ob ihre Daten auf einer Chipkarte gespeichert werden,
– welche ihrer Gesundheitsdaten auf die Karte aufgenommen werden,
– welche ihrer Daten auf der Karte wieder gelöscht werden,
– ob sie die Karte bei einem Arzt- oder Apothekenbesuch
vorlegen und
– welche ihrer Daten sie im Einzelfall zugänglich machen
(die Technik muss eine partielle Freigabe ermöglichen).

Der Chipkarteneinsatz darf nicht zur Entstehung neuer zentraler Datensammlungen über Patientinnen und Patienten
führen.
Datenschutzrechtlich problematisch wäre es, den „Arzneimittelpass“ auf der Krankenversichertenkarte gemäß § 291
SGB V zu implementieren. Eine solche Erweiterung wäre
allenfalls vertretbar, wenn die „Funktion Krankenversichertenkarte“ von der „Funktion Arzneimittelpass“ informationstechnisch getrennt würde, sodass die Patientinnen oder
Patienten bei einem Arzt- oder Apothekenbesuch nicht gezwungen werden, ihre gesamten Gesundheitsdaten ungewollt zu offenbaren. Ihre Entscheidungsfreiheit, wem gegenüber sie welche Gesundheitsdaten offenlegen, müsste
also durch die technische Ausgestaltung der Karte gewährleistet sein.
Die Betroffenen müssen ferner das Recht und die Möglichkeit haben, ihre auf der Chipkarte gespeicherten Daten vollständig zu lesen.
Die Verwendung der Karte außerhalb des medizinischen
Bereichs, z. B. durch Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber
oder Versicherungen, muss gesetzlich verboten und sanktioniert werden.

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