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Vielzahl anderer Stellen im Rehabilitationsbereich ist. Im
Rahmen meiner Beteiligung an der Erarbeitung der gemeinsamen Empfehlungen habe ich mich immer – unter Berücksichtigung der jeweiligen sachlichen Regelung – für die Beachtung folgender datenschutzrechtlichen Grundsätze
eingesetzt, um das informationelle Selbstbestimmungsrecht
der behinderten Menschen in größtmöglichem Umfange zu
gewährleisten:
– Erforderlichkeitsgrundsatz
Ein wesentlicher Grundsatz des allgemeinen Datenschutzrechtes ist die Erforderlichkeit. Danach ist eine
Offenbarung von personenbezogenen Angaben nur zulässig, wenn ohne die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung der Daten eine Aufgabe nicht oder nicht sach- bzw.
zeitgerecht erfüllt werden kann. Mit dieser datenschutzrechtlichen Forderung soll vermieden werden, dass einzelne speichernde Stellen eine Vielzahl von Informationen über einen Betroffenen ansammeln, die zumindest
zurzeit nicht benötigt werden.
– Zweckbindung
Personenbezogene Daten dürfen nur zu dem Zweck verarbeitet oder genutzt werden, zu dem sie erhoben bzw.
gespeichert wurden und dieser Verwendungszweck muss
für den Betroffenen klar erkennbar festgelegt sein. Von
diesem Grundsatz sind Ausnahmen vorgesehen, wenn
sie gesetzlich vorgeschrieben sind, wie beispielsweise
die Überprüfung der Angaben eines Betroffenen, soweit
dies zur Erfüllung einer Aufgabe des Sozialleistungsträgers erforderlich ist. Im Hinblich auf die im SGB IX
festgelegte Zusammenarbeit verschiedener Leistungsträger und anderer beteiligter Stellen ist zu beachten, dass
dem Aspekt der Vertrauensbildung eine entscheidende
Rolle zukommt. Ein behinderter Mensch wird einer Erhebung oder Übermittlung seiner Daten eher und beruhigter zustimmen, wenn er genau weiß, zu welchem
Zweck die Datenerhebung oder die Datenübermittlung
erfolgt und er sich darauf verlassen kann, dass er nicht
zu einem späteren Zeitpunkt in einem völlig anderen Zusammenhang mit diesen Daten konfrontiert wird.
– Gesetzlich normierte Regelung
Das Datenschutzrecht geht von der Grundkonzeption des
Verbots mit Erlaubnisvorbehalt aus. Zur Wahrung des
Persönlichkeitsrechts in der Form des informationellen
Selbstbestimmungsrechts des Betroffenen ist für jede Erhebung oder Verarbeitung personenbezogener Daten
eine gesetzliche Grundlage erforderlich, die nach dem
bekannten „Volkszählungsurteil“ normenklar sein muss.
Das bedeutet, ein Gesetz, das Eingriffe in das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen vorsieht
und damit auch eine Abwägung des Gesetzgebers zwischen diesem Recht und anderen schützenswerten Positionen wiedergibt, muss klar und für den Betroffenen
transparent aufzeigen, welche Datenverarbeitungsschritte unter Berücksichtigung der datenschutzrechtlichen Grundvorgaben zulässig sind. Da das SGB IX für
eine Informationsverarbeitung lediglich einen Rahmen
vorgibt, die inhaltliche Ausfüllung dieser Vorgaben aber
den beteiligten Rehabilitationsträgern überlässt, müssen
die dazu dienenden gemeinsamen Empfehlungen den
Umfang des informationellen Selbstbestimmungsrechts
und dessen Einschränkungen klar ergeben.
– Einwilligung
Das Datenschutzrecht kennt neben der gesetzlich normierten Erlaubnis für die Erhebung, Verarbeitung oder
Nutzung von Daten auch die Einwilligung des Betroffenen als Erlaubnistatbestand. Im Sozialleistungsbereich
kann dies aber nur beschränkt gelten. Die Erbringung
von Leistungen kann nicht davon abhängig sein, dass der
Versicherte – im Rahmen des SGB IX der behinderte
Mensch – zugleich auch ohne Beschränkungsmöglichkeit in die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung seiner
personenbezogenen Daten einwilligt. Dies könnte zu unbilligen Ergebnissen führen. Würde ein behinderter
Mensch aufgrund datenschutzrechtlicher Bedenken
seine Einwilligung zu einer Rehabilitationsmaßnahme
zur Erhaltung des Arbeitsplatzes oder zur Teilhabe am
Leben nicht geben, würde er eine Sozialleistung, auf die
er einen Anspruch hat, überhaupt nicht erhalten. Vor diesem Hintergrund erscheint es sinnvoll, für bestimmte
Rehabilitationsmaßnahmen im Rahmen gesetzlicher
Vorgaben stärkere Mitwirkungs- und Gestaltungsrechte
für die behinderten Menschen vorzusehen.
Für die Beachtung dieser Grundsätze werde ich mich auch
künftig bei der Formulierung weiterer gemeinsamer Empfehlungen einsetzen.
27.2
Aufnahme der Arbeit der Servicestellen:
Koordinierung der Sozialleistungsträger
Die mit der Einordnung des SGB IX (BGBl. I 2001 S. 1046)
in das Sozialgesetzbuch erstmals eingerichteten Servicestellen für behinderte Menschen haben nicht nur die Aufgabe,
diese zu beraten und zu unterstützen, sondern sollen nach
dem Wortlaut des Gesetzes auch die Tätigkeit der Sozialleistungsträger koordinieren und deren Entscheidungen vorbereiten. Vor diesem Hintergrund habe ich ein besonderes
Augenmerk auf die Datenerhebungen und Datenübermittlungen bei der Tätigkeit der Servicestellen gelegt. In einem
ersten sondierenden Gespräch mit der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation im Oktober 2001 habe ich
mich über die Organisation und Aufgabenstellung der Servicestellen informiert. Im Juni 2002 habe ich, nachdem die
ersten Servicestellen ihre Arbeit zum 1. Januar 2002 aufgenommen hatten, drei Servicestellen in Berlin besucht. Weder die geplante Organisation und Aufgabenstellung noch
die in der Praxis umgesetzte Arbeitsweise begegnen
schwerwiegenden datenschutzrechtlichen Bedenken. Die
Servicestellen sollen nur auf Wunsch des behinderten Menschen tätig werden. Auch für die weiteren Bearbeitungsschritte ist stets ein Mandat des Betroffenen erforderlich.
Nach der Planung sollen die Servicestellen auch Anträge,
die das Verfahren eines anderen Leistungsträger betreffen,
bearbeiten. In diesen Fällen wären Abschottungsfragen datenschutzrechtlich zu prüfen. In dem von mir beobachteten
tatsächlichen Ablauf kommt dieser Fall jedoch nicht vor. Im
Juni 2002 waren die Servicestellen nur von sehr wenigen
behinderten Menschen in Anspruch genommen worden. Die
Größenordnung lag bei ca. fünf bis 15 Personen. Die Arbeit
der Servicestellen beschränkte sich in der Anlaufphase im
Wesentlichen auf die Weiterleitung der gestellten Leistungsanträge an die zuständigen Leistungsträger. Dabei handelte
es sich ausschließlich um das Ausfüllen von Formularen;
eine elektronische Datenverarbeitung wurde nicht benutzt.
BfD 19. Tätigkeitsbericht 2001–2002