– 111 –
muss nur über bekannt gewordene Tatsachen zu Spionageaktivitäten bzw. zu gewaltgeneigten Bestrebungen unterrichtet werden. Dadurch geraten vermehrt Asylbewerber
und Ausländer, selbst wenn sie sich nur aktiv politisch betätigen, ins Visier der Verfassungsschutzbehörden. Insgesamt
bedeuten die Neuregelungen im Bundesverfassungsschutzgesetz eine erhebliche zusätzliche Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts Betroffener. Doch ist darauf hinzuweisen,
dass die neuen Befugnisse nach Artikel 22 Abs. 2 TBG auf
fünf Jahre befristet und überdies vor Ablauf der Befristung
zu evaluieren sind (s. Nr. 2.3.1).
17.2
Datenlöschung und Aktenvernichtung
beim Bundesamt für Verfassungsschutz
17.2.1
Personenbezogene Daten in Akten
unterliegen nach Löschung in NADIS-PZD
einem absoluten Verwertungsverbot
Anders als in einer Reihe von Landesdatenschutz- und Landesverfassungsschutzgesetzen, in denen nach Löschung von
personenbezogenen Daten in Dateien ausdrücklich auch die
Vernichtung der dazu gehörenden Akten, die zur Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderliche personenbezogene Daten
enthalten, geregelt ist (z. B. § 11 Abs. 3 Verfassungsschutzgesetz NW, s. auch § 33 BKA-Gesetz), ist nach § 12 Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) und § 20 Abs. 2
BDSG eine Löschung/Vernichtung nur für personenbezogene Daten vorgesehen, die automatisiert bzw. in einer Datei verarbeitet werden. In Bezug auf Akten regelt § 13
BVerfSchG als Spezialvorschrift ausdrücklich nur deren Berichtigung und Sperrung; ebenso sehen § 20 Abs. 1 Satz 2
und Abs. 6 BDSG auch nur die Berichtigung und Sperrung
von personenbezogenen Daten in Akten vor.
Unabhängig von der Frage einer rechtlichen Verpflichtung
zur Vernichtung jedenfalls der Personenakten (P-Akten)
nach einer Löschung von personenbezogenen Daten des Betroffenen im nachrichtendienstlichen InformationssystemPersonenzentraldatei (NADIS-PZD) – eine Forderung, die
ich stets aufrecht erhalten habe (s. 16. TB Nr. 14.5) – stimmen BMI und BfV mit mir überein, dass diese in jedem Fall
zu vernichten sind. Hierzu ist eine Verfahrensregelung im
BfV erlassen worden.
Für Aktenteile mit personenbezogenen Daten aus den umfangreicheren Sachakten – z. B. über bestimmte Beobachtungsobjekte – gilt dies entsprechend der getroffenen Vereinbarung unter Beachtung der Aktenvollständigkeit nur dann,
wenn es möglich und vom Arbeitsaufwand vertretbar ist.
Ansonsten ist die Löschung des Datensatzes (z. B. durch
Stempelaufdruck auf bzw. in der Sachakte) zu dokumentieren. Hiervon betroffene Daten gelten – ohne dass dieser Begriff in Verfahrensregelungen des BfV gebraucht wird – als
„gesperrt“ (vgl. § 13 Abs. 2 Satz 2 BVerfSchG). Danach
dürfen sie grundsätzlich nicht mehr genutzt oder übermittelt
werden. Da die Speicherung als solche wegen des o. a.
Sachzusammenhangs bestehen bleibt, muss sichergestellt
werden, dass sie für den Betroffenen keine negativen Auswirkungen (mehr) haben kann.
Darüber hinaus unterliegen personenbezogene Daten eines
Betroffenen, dessen Daten in NADIS-PZD gelöscht sind, einem absoluten Verwertungsverbot, auch wenn sie noch in
Akten gleich welcher Art geführt werden. Dies ist ein Aus-
fluss des informationellen Selbstbestimmungsrechts, denn
sie hätten an sich vernichtet werden müssen. Gleiches gilt
auch, wenn sie in Sachakten als „gesperrt“ gelten. Unter das
Verwertungsverbot fällt jede denkbare weitere Nutzung der
Daten, insbesondere auch die Übermittlung an Dritte.
Die Rechte des Betroffenen, namentlich seine Rechte auf
Auskunft, Berichtigung und Löschung, bleiben unberührt.
Dritten gegenüber dürfen weder die gesperrten Daten noch
die Tatsache der „Sperrung“ mitgeteilt werden.
Ausnahmen vom Übermittlungs- und Verwertungsverbot
sehe ich nur in eng begrenztem Rahmen. Sie sind unter
strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit
zulässig, soweit dies zum Schutz besonders hochwertiger
Rechtsgüter unerlässlich ist und die Aufklärung des Sachverhalts ohne Heranziehung der Erkenntnisse aus Sachakten
aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Dies kann
z. B. der Fall sein, wenn sich aus noch vorhandenen Unterlagen tatsächliche Anhaltspunkte für noch nicht verjährte
Straftaten i. S. d. § 138 Strafgesetzbuch (StGB) ergeben.
Hier ist auch der Verfassungsschutz – wie jedermann – an
das Legalitätsprinzip gebunden. Bei solchen Straftaten, vor
allem nach §§ 211, 212 StGB, ist dem Strafverfolgungsinteresse des Staates der Vorrang vor dem Interesse des Betroffenen am Schutz „seiner“ Daten zu geben.
Abgesehen von dem Anspruch des BMI als oberster Aufsichtsbehörde auf Vorlage aller Unterlagen des BfV, sehe
ich sowohl beim Parlamentarischen Kontrollgremium, bei
Parlamentarischen Untersuchungsausschüssen und auch bei
Strafverfolgungsbehörden Einsichtsrechte nur im Rahmen
der o. a. Ausnahmen.
Zusammen mit den Datenschutzbeauftragten der Länder
habe ich mich vor diesem Hintergrund mit der o. a. Problematik der Behandlung von Unterlagen mit andernorts gelöschten Daten befasst; dazu ist am 24. Oktober 2002 ein
gemeinsamer SBeschluss ergangen (s. Anlage 25).
17.2.2
Muss das Bundesamt für Verfassungsschutz Akten an das Bundesarchiv
abgeben?
Im Rahmen der Diskussion über die Behandlung von personenbezogenen Daten in Personen- und Sachakten im Jahre
2001 hatte das BfV zu verstehen gegeben, dass es im Hinblick auf das von mir postulierte absolute Verwertungsverbot (s. Nr. 17.2.1) nunmehr die Anwendbarkeit des
Bundesarchivgesetzes (BArchG) auf Unterlagen des BfV
problematisiere. Das Bundesarchiv widersprach mit dem
Hinweis auf die in § 2 BArchG geregelte Anbietungsverpflichtung von Behörden der Auffassung des BfV, archivwürdiges Schriftgut unterliege ebenfalls dem Verwertungsverbot, das vom Bundesarchiv auch zu beachten sei. Da das
Bundesarchiv der – irrigen – Auffassung war, ich würde die
Meinung des BfV vertreten, hielt ich es für geboten, mit
BMI, BfV und der für das Bundesarchiv zuständigen Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien die
Frage der Geltung und Anwendungsbreite des BArchG im
Hinblick auf die beim BfV geführten Unterlagen unter Einbeziehung des bisher durchgeführten Verfahrens zu erörtern.
Dabei habe ich deutlich gemacht, dass das BArchivG auch
auf das BfV Anwendung findet. Grund dafür ist das Fehlen
einer expliziten Aktenvernichtungsregelung im BVerfSchG.
Nach § 2 Abs. 7 BArchG bleiben Rechtsvorschriften über
BfD 19. Tätigkeitsbericht 2001–2002