Drucksache 19/26103
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Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Unterabschnitt 5 (Unabhängige Rechtskontrolle)
Wesentliches Strukturmerkmal des demokratischen Rechtsstaats und der hiermit einhergehenden Bindung der
Exekutive an Recht und Gesetz ist die Kontrolle behördlichen Handelns. Kontrolle dient der Legitimation exekutiven Handelns. Kontrolle findet dabei auf mehreren Ebenen statt: Neben behördeninternen Kontrollinstrumenten,
z. B. in Anordnungs- und Genehmigungsverfahren, besteht innerhalb der Exekutive die Fach- und Dienstaufsicht
mit einem weit gefassten Instrumentarium. Im Falle des Bundesnachrichtendienstes wird diese Fach- und Dienstaufsicht durch das Bundeskanzleramt ausgeführt. Daneben findet im Bereich der Nachrichtendienste des Bundes
spezifische Kontrolle durch das Parlamentarische Kontrollgremium, die G 10-Kommission, das Vertrauensgremium, die Bundesbeauftragte oder den Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit und
den Bundesrechnungshof statt. Das Gesamtsystem der Kontrolle über die Nachrichtendienste des Bundes ist in
den letzten Jahren zum Teil erheblich ausgebaut worden.
Im Falle der Nachrichtendienste, deren Arbeit wegen der verdeckten Sammlung von Informationen und des Einsatzes nachrichtendienstlicher Mittel in die Grundrechte der Betroffenen eingreifen kann, kommt der Kontrolle
eine besonders wichtige, weil vertrauensstiftende Rolle zu. Vertrauen in die Lauterkeit und Gesetzmäßigkeit der
meist klandestinen Tätigkeit der Nachrichtendienste kann aber nur entstehen und gefestigt werden, wenn die vorgesehenen Kontrollinstrumente effektiv sind und die Kontrollinstanz mit ausreichenden Kompetenzen ausgestattet ist (BT-Drs. 16/12411, Seite 7).
Dabei ist zu berücksichtigen, dass die für die Arbeit eines Nachrichtendienstes unerlässliche Geheimhaltung im
parlamentarisch-politischen Umfeld faktischen Grenzen unterliegt (BVerfG, a. a. O., Randnummer 298). Die Errichtung einer neuen Behörde zur Rechtskontrolle der technischen Aufklärung des Bundesnachrichtendienstes
trägt beiden Gesichtspunkten Rechnung: Über die Wahl der Mitglieder sowie umfassende Berichtspflichten an
das Parlament in Gestalt des Parlamentarischen Kontrollgremiums findet die erforderliche demokratische Legitimation statt. Gleichzeitig gewährleistet das Parlamentarische Kontrollgremium die umfassende parlamentarische
– politische – Kontrolle des Bundesnachrichtendienstes. Ergänzt wird diese Anbindung an das Parlament durch
die festgeschriebene Möglichkeit der Berichtslegung auch an den Deutschen Bundestag. Den spezifischen Arbeits- und Zusammenarbeitsbedingungen eines Nachrichtendienstes, insbesondere mit Blick auf die Geheimhaltung werden durch die Verortung der umfassenden Rechtskontrolle in der Sphäre der Exekutive Rechnung getragen. Durch die Zuordnung zur Exekutive wird eine unabhängige und effektive Kontrolle des Bundesnachrichtendienstes, wie vom Bundesverfassungsgericht gefordert, ermöglicht. Insbesondere die sogenannte „Third-PartyRule“ ist für eine derart ausgestaltete Rechtskontrolle kein Kontrollhindernis, da der Unabhängige Kontrollrat
nicht als Dritter im Sinne der „Third Party Rule“ anzusehen ist. Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt,
dass die „Third Party Rule“ im Verhältnis zum Unabhängigen Kontrollrat kein Hinderungsgrund für eine wirksame Rechtskontrolle sein dürfe (BVerfG, a. a. O. Randnummern 292, 294, 295). Die „Third Party Rule“ ist eine
auf Vereinbarungen mit Partnerdiensten beruhende, allgemein anerkannte Verhaltensregel unter den Nachrichtendiensten, nach der Informationen von ausländischen Diensten nach Maßgabe informeller Absprachen nicht
ohne deren Zustimmung an Dritte weitergeben werden dürfen (BVerfG, a. a. O., Randnummer 293, in ebensolchem Sinne BVerfG, 2 BvE 2/15, Randnummer 162). Auf diese Regel kann sich auch die Bundesregierung berufen, sofern sie entsprechende Zusagen gegeben hat, auf deren Grundlage Informationen von dem ausländischen
Dienst übermittelt wurden und hieran anschließend eine Übermittlung an „Dritte“ in Frage steht (BVerfG, a. a. O.,
Randnummer 293) Die „Third Party Rule“ ist insoweit eine auf eine rechtlich nicht verbindliche, aber auf Vereinbarung mit anderen Diensten beruhende und damit flexible Verwaltungspraktik, auf deren praktische Bedeutung die Bundesregierung Einfluss hat (BVerfG, a. a. O., Randnummer 294 m. w. N.). Dieses Hindernis zur Einsichtnahme in Informationen, die von einem anderen Dienst übermittelt wurden, darf der verfassungsrechtlich
gebotenen umfassenden Rechtskontrolle des Bundesnachrichtendienstes durch eine strikt auf Geheimhaltung ausgerichtete und verpflichtete unabhängige Instanz wie den Unabhängigen Kontrollrat, der nicht in das Parlament
und dessen politische Kommunikationszusammenhänge eingebunden ist, nicht entgegengehalten werden
(BVerfG, a. a. O., Randnummer 294). Die Bundesregierung und der Bundesnachrichtendienst bleiben gleichzeitig
an gegebene Zusagen gebunden. Der Unabhängige Kontrollrat darf mit Blick auf die von anderen Diensten übermittelten Informationen aufgrund seiner vom Bundesverfassungsgericht geforderten, strikt auf Geheimhaltung
ausgerichteten Ausgestaltung jedoch nicht als „Dritter“ im Sinne der „Third Party Rule“ angesehen werden. So
ist zu gewährleisten, dass sich sowohl die verfassungsrechtlich gebotene Kontrolltätigkeit ungehindert von der
„Third Party Rule“ auch auf den Umgang des Bundesnachrichtendienstes mit von ausländischen Diensten stammenden Informationen erstreckt, als auch die für die Wahrung der außen- und sicherheitspolitischen Interessen