Senatsmehrheit wiederum der Menschenwürdegehalt in Art. 13 Abs. 1 GG als Maßstab, anhand dessen die zusätzlichen ungeschriebenen Schranken des Art. 13
Abs. 3 GG im Wege der Auslegung gezogen werden. So aber verliert der Menschenwürdegehalt des Wohnraumschutzes seine Sperrwirkung gegenüber Verfassungsänderungen und dient nur noch dazu, als Interpretationshilfe einer ansonsten verfassungswidrigen Verfassungsänderung zu einem verfassungsgemäßen Bestand zu
verhelfen. Gerade das, was in der verfassungsändernden Norm gar nicht geschrieben steht, gereicht dieser damit zur Überwindung der Hürde des Art. 79 Abs. 3 GG.
c) Art. 79 Abs. 3 GG zielt nicht nur darauf, dass bestimmte Standards in der Rechtsordnung eingehalten werden, sondern zuvörderst auf die Wahrung der von ihm aufgeführten Grundsätze in der Verfassung selbst (vgl. Lübbe-Wolff, DVBl 1996, S. 825
<834>). Selbst wenn man die Auffassung vertritt, dass Art. 79 Abs. 3 GG den verfassungsändernden Gesetzgeber grundsätzlich nicht hindert, grundrechtliche Gewährleistungen, auch wenn sie einen Menschenwürdegehalt haben, einzuschränken oder
gar aufzuheben (vgl. BVerfGE 94, 49 <103 f.>), wenn und soweit der Schutz der
Menschenwürde über Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistet bleibt, muss man unseres Erachtens dennoch in der Einführung des Art. 13 Abs. 3 GG eine verfassungswidrige
Einschränkung des Art. 13 Abs. 1 GG sehen, die gegen Art. 79 Abs. 3 GG verstößt.

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Art. 13 Abs. 3 GG selbst nimmt zunächst vom Grundrechtsschutz der Privatwohnung aus Art. 13 Abs. 1 GG auch Bereiche aus, die den Menschenwürdegehalt dieser Norm betreffen. Damit entfällt deren Schutz aber nicht, erfahren diese Bereiche
doch nunmehr unmittelbar Schutz aus Art. 1 Abs. 1 GG, der sich Einschränkungen
und Abwägungen mit anderen verfassungsrechtlich geschützten Belangen entzieht.
Allerdings kommt es damit zu sich widersprechendem Verfassungsrecht: während
Art. 1 Abs. 1 GG die in der Privatwohnung sich manifestierende Intimsphäre zur
Wahrung der Menschenwürde umfassend schützt, lässt Art. 13 Abs. 1 in Verbindung
mit Abs. 3 GG, der als spezielle Vorschrift eigentlich insoweit Art. 1 Abs. 1 GG verdrängt, Eingriffe in diesen Bereich expressis verbis durch die Verfassungsänderung
zu. Will man diesen Widerspruch im Wege der Verfassungsauslegung auflösen,
muss dies um der Gewährleistung der Menschenwürde willen dazu führen, dass die
vom Verfassungsgesetzgeber vorgenommene Verfassungsänderung inhaltlich weit
zurückgenommen wird, obwohl dies in der geänderten Verfassungsnorm gerade
nicht angelegt ist und in ihr auch nicht zum Ausdruck kommt. Sie setzt nach wie vor
den Schein einer zulässigen Grundrechtseinschränkung, die den nach Art. 79 Abs. 3
GG gewährleisteten Verfassungsstandard nicht einhält.

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Damit fehlt es aber zum einen an einer hinreichenden Bestimmtheit, was diese Verfassungsänderung eigentlich bewirkt und in welchem Umfang sie den Gesetzgeber
zu Eingriffen in den Schutz der Privatwohnung ermächtigt. Zum anderen wird mit der
Auslegung der Gehalt, den der Gesetzgeber der verfassungsändernden Norm gegeben hat, wieder verändert, ohne dass dies in der Norm selbst zum Ausdruck kommt.
Eine solche Änderung ist aber ausschließlich Sache des Verfassungsgesetzgebers
(vgl. BVerfGE 30, 1; Abweichende Meinung, S. 33 <38>). Nimmt dieser eine Grund-

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