I.
Die Grundrechte des Grundgesetzes binden den Bundesnachrichtendienst und den
seine Befugnisse regelnden Gesetzgeber unabhängig davon, ob der Dienst im Inland
oder im Ausland tätig ist. Der Schutz der Art. 10 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG
gilt auch gegenüber einer Telekommunikationsüberwachung von Ausländern im Ausland.
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1. Art. 1 Abs. 3 GG begründet eine umfassende Bindung der deutschen Staatsgewalt an die Grundrechte des Grundgesetzes. Einschränkende Anforderungen, die die
Grundrechtsbindung von einem territorialen Bezug zum Bundesgebiet oder der Ausübung spezifischer Hoheitsbefugnisse abhängig machen, lassen sich der Vorschrift
nicht entnehmen. Das gilt jedenfalls für die Grundrechte als Abwehrrechte gegenüber
Überwachungsmaßnahmen, wie sie hier in Frage stehen.
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a) Nach Art. 1 Abs. 3 GG binden die Grundrechte Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht. Eine Beschränkung auf
das Staatsgebiet enthält die Vorschrift nicht. Für das Handeln deutscher Staatsorgane im Ausland kann eine Ausnahme von der Grundrechtsgeltung auch nicht aus einem dahingehenden unausgesprochen konsentierten Grundverständnis bei Entstehung des Grundgesetzes hergeleitet werden (a.A. Hecker, in: Dietrich/Eiffler [Hrsg.],
Handbuch des Rechts der Nachrichtendienste, 2017, III § 2 Rn. 46; Löffelmann, in:
Dietrich/Eiffler [Hrsg.], Handbuch des Rechts der Nachrichtendienste, 2017, VI § 3
Rn. 15). Art. 1 Abs. 3 GG zielte insbesondere in Reaktion auf die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft vielmehr auf eine umfassende, in der Menschenwürde wurzelnde Grundrechtsbindung und war bereits 1949 in die Überzeugung eingebettet, dass die Bundesrepublik in der internationalen Staatengemeinschaft ihren
Platz als rechtsstaatlicher Partner finden müsse (vgl. Dreier, in: ders., GG, Bd. 1, 3.
Aufl. 2013, Art. 1 Abs. 2 Rn. 3; ders., DVBl 1999, S. 667 <672 ff.>). Dies kommt
schon in der Präambel sowie insbesondere in Art. 1 Abs. 2 GG und Art. 24 und 25
GG zum Ausdruck. Auch wenn die Grundrechtsbindung außerhalb des eigenen
Staatsgebiets in den Beratungen zum Grundgesetz noch kein eigenes Thema war
und insbesondere Überwachungsmaßnahmen gegenüber dem Ausland in den heute
möglichen Formen jenseits der damaligen Vorstellungen lagen, lässt sich aus der
Entstehungsgeschichte nicht ableiten, dass der Schutz der Grundrechte von vornherein an der Staatsgrenze enden sollte. Der Anspruch eines umfassenden, den Menschen in den Mittelpunkt stellenden Grundrechtsschutzes spricht vielmehr dafür,
dass die Grundrechte immer dann schützen sollen, wenn der deutsche Staat handelt
und damit potentiell Schutzbedarf auslösen kann – unabhängig davon, an welchem
Ort und gegenüber wem.
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b) Die Bindung an die Grundrechte nach Art. 1 Abs. 3 GG als individuelle Abwehrrechte beschränkt sich auch nicht auf Konstellationen, in denen der Staat den Betroffenen als mit dem Gewaltmonopol versehene Hoheitsmacht gegenübertritt (vgl. Hölscheidt, Jura 2017, S. 148 <150 f.>; a.A. Gärditz, Die Verwaltung 48 <2015>, S. 463
<474>; ders., DVBl 2017, S. 525 <526>; Hecker, in: Dietrich/Eiffler [Hrsg.], Handbuch
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