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Ämter übermittelt sowie eine Gebäude- und Wohnungsstichprobe bei den Eigentümern der ausgewählten Gebäude durchgeführt. Ferner wurde eine Befragung bei den
Bewohnern durchgeführt und deren Angaben mit den Registerdaten verglichen.
Der Zensustest hat nach Einschätzung des BMI ergeben,
dass ein registergestützter Zensus möglich ist und die getesteten statistischen Methoden und Verfahren geeignet
erscheinen. Die Registernutzung müsse jedoch durch primärstatistische Elemente ergänzt werden. Insbesondere
müssten die Melderegisterdaten als Grundlage belastbarer
amtlicher Einwohnerzahlen überprüft und gegebenenfalls
korrigiert werden, wozu Stichprobenerhebungen vorgesehen seien. Vor dem Hintergrund der für das Jahr 2010
durch die EU geplanten gemeinschaftsweiten Zensusrunde
könnte das neue Verfahren zu diesem Zeitpunkt zur Anwendung kommen. Ich werde die weiteren Vorbereitungsmaßnahmen aufmerksam begleiten und dabei insbesondere
darauf achten, dass – entsprechend der Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts in seinem Volkszählungsurteil
vom 15. Dezember 1983 (BVerfGE 65, 1 ff.) – keine für
die Statistik erhobenen Daten für Verwaltungszwecke genutzt werden, also eine unzulässige Zweckänderung vermieden wird.
6.13

Archivbestände und ihre objektive
Wahrheit

Archivbestände können auch Unterlagen enthalten, die
nicht der objektiven Wahrheit entsprechen. Betroffene haben in diesen Fällen die Möglichkeit, eine eigene Darstellung zu den Archivalien hinzuzufügen.
Ein Petent teilte mir mit, dass er beim Bundesarchiv in
der NSDAP-Mitgliederkartei als Mitglied gespeichert sei.
Tatsächlich sei er jedoch zu keinem Zeitpunkt Mitglied
der NSDAP gewesen; zum Zeitpunkt des angeblichen
Beitritts sei er noch nicht volljährig gewesen, so dass er
bereits aus diesem Grund nicht Mitglied der NSDAP
hätte werden können. Das Bundesarchiv lehnte einen Antrag des Petenten auf Löschung ab.
Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verleiht
dem Einzelnen die Befugnis, grundsätzlich selbst über die
Preisgabe und Verwendung personenbezogener Daten zu
entscheiden. Das Bundesarchivgesetz enthält in § 4
Abs. 3 eine Regelung, die diesem Schutzzweck Rechnung tragen will. Dort heißt es: Wird festgestellt, dass
personenbezogene Angaben unrichtig sind, so ist dies in
den Unterlagen zu vermerken oder auf sonstige Weise
festzuhalten. Bestreitet ein Betroffener die Richtigkeit
personenbezogener Angaben, so ist ihm die Möglichkeit
einer Gegendarstellung einzuräumen. Das zuständige
Archiv ist verpflichtet, die Gegendarstellung den Unterlagen hinzuzufügen. Vor diesem Hintergrund hat das Bundesarchiv eine Gegendarstellung des Petenten zu den Unterlagen genommen. Mit diesem Verfahren war der Petent
jedoch nicht einverstanden, er beharrte vielmehr auf der
Löschung der fehlerhaften Angaben.
Ich habe zwar einerseits großes Verständnis für den Ärger
des Petenten, verstehe aber andererseits auch die Inten-

BfD

20. Tätigkeitsbericht

2003–2004

tion des Gesetzgebers. Das Problem liegt darin, dass es
gerade zu den Aufgaben des Archivs zählt, Situationen
und Lebenssachverhalte so zu dokumentieren, wie sie
sich aufgrund der archivierten Aufzeichnungen darstellen. Wenn das Handeln von Stellen der NSDAP fehlerhaft
war und innerhalb des nationalsozialistischen Gewaltsystems rechtswidrige Merkmale aufwies, dann ist gerade
die Aufbewahrung derartiger Unterlagen als Beleg solchen Handelns unverzichtbar. Auch die Regelung in § 4
Abs. 3 BArchG verfolgt denselben Zweck, da durch die
Hinzufügung der Gegendarstellung die Nachvollziehbarkeit und Offenlegung des fehlerhaften Handelns belegt
wird. Der damit einhergehende Eingriff in das Recht auf
informationelle Selbstbestimmung ist bei Abwägung der
unterschiedlichen Rechtsgüter hinzunehmen. Zum Schutz
der Persönlichkeitsrechte werden solche Unterlagen nicht
in Bibliotheken mit freiem Zugang aufbewahrt, sondern
in Archiven, wo sie nur unter besonderen Voraussetzungen eingesehen werden dürfen. So darf beispielsweise
Archivgut, das sich auf natürliche Personen bezieht,
grundsätzlich erst 30 Jahre nach dem Tod der Betroffenen
durch Dritte genutzt werden. Diese Schutzfrist kann verkürzt werden, wenn die Nutzung für ein wissenschaftliches Forschungsvorhaben unerlässlich ist und schutzwürdige
Belange
der
Betroffenen
angemessene
Berücksichtigung finden. Eine Veröffentlichung oder eine
andere Form der Bekanntgabe in personenbezogener
Form ist archivrechtlich und datenschutzrechtlich unzulässig. Auch wenn es für den Petenten im konkreten Einzelfall unbefriedigend ist, so halte ich die gesetzliche Regelung im BArchG für angemessen.
7

Rechtswesen

7.1

Akustische Wohnraumüberwachung

Zu den wichtigsten Ereignissen im Berichtszeitraum zählt
das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 3. März
2004 zur akustischen Wohnraumüberwachung.
7.1.1

Urteil des Bundesverfassungsgerichts
vom 3. März 2004

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum „Großen
Lauschangriff“ ist ein wichtiger Orientierungspunkt bei
der Abwägung zwischen den Belangen der inneren
Sicherheit und den Rechten des Einzelnen.
In seinem richtungsweisenden Urteil hat das BVerfG
deutliche Grenzen für das heimliche Abhören von Wohnungen
mit
akustischen
Hilfsmitteln
gesetzt
(vgl. Kasten zu Nr. 7.1.1). Eine Minderheit des Senats hat
den Artikel 13 Abs. 3 GG, der die verfassungsrechtliche
Grundlage der Wohnraumüberwachung darstellt, als „verfassungswidriges Verfassungsrecht“ gewertet. Nach der
Meinung der Senatsmehrheit muss Artikel 13 Abs. 3 GG
restriktiv und in einer an der Menschenwürde orientierten
Weise interpretiert werden. Es muss sichergestellt sein,
dass die akustische Wohnraumüberwachung nicht in den
unantastbaren Bereich der privaten Lebensgestaltung eindringt. Die Fortentwicklung dieses in ständiger Recht-

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