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ca. 24 Prozent substanziell begründet. Die Beschlüsse ergingen in der Regel sehr schnell und orientierten sich ausschließlich an der polizeilichen oder staatsanwaltschaftlichen Vorlage. Dass die Ermittlungsrichter ihre Kontrollund Dokumentationspflichten oft nur unzureichend erfüllen, hatte ein Forschungsprojekt der Universität Bielefeld
zu „Wirksamkeitsbedingungen von Richtervorbehalten
bei Telefonüberwachungen“ gezeigt. Da eine Verbesserung der richterlichen Kontrolle dringend erforderlich ist,
haben die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der
Länder in ihrer Entschließung einige Vorschläge gemacht.
Ein großes Manko der derzeitigen Überwachungspraxis
hat die Untersuchung auch hinsichtlich der Benachrichtigungspflichten offenbart, denen in der Praxis nur unzureichend nachgekommen wird. Hier ist ebenfalls dringender
gesetzlicher Handlungsbedarf gegeben, der sich nicht nur
zu dieser Problematik, sondern auch darüber hinaus (z. B.
hinsichtlich der Berücksichtigung des „absolut geschützten Kernbereichs privater Lebensgestaltung“, Einführung
von Kennzeichnungspflichten etc.) aus dem Urteil des
Bundesverfassungsgerichts zur akustischen Wohnraumüberwachung vom 3. März 2004 (vgl. dazu Nr. 7.1.1) ergibt.
Eine Reform der Vorschriften zur Telekommunikationsüberwachung ist daher dringend notwendig.
Bei diesem Vorhaben sollten aus meiner Sicht folgende
weitere Probleme gelöst werden. Regelungsbedürftig ist
meines Erachtens die Ermittlungsmaßnahme der sog.
„stillen SMS“. Dabei schickt die ermittelnde Person eine
Kurznachricht an ein empfangsbereites Handy, auf dessen
Display sie nicht angezeigt wird. Daraufhin verlangt die
ermittelnde Person beim Mobilfunkanbieter die Verbindungsdaten und kann so das Gerät auf bis zu 50 Meter
genau orten. In einem Schreiben an das BMJ habe ich
dargelegt, dass bereits das Versenden der sog. stillen SMS
(und nicht erst die Übermittlung der Verbindungsdaten)
einen Eingriff in das grundrechtlich verbürgte Fernmeldegeheimnis darstellt, der keine rechtliche Grundlage in den
§§ 100a ff. StPO findet. Ebenso wie einige andere technische Überwachungsmaßnahmen, z. B. der IMSI-Catcher
oder das Abfragen der Stand-By-Daten von Mobiltelefonen, dient sie nicht der inhaltlichen Überwachung der
Telekommunikation, sondern der heimlichen Standortfeststellung des Betroffenen. Diese Ortungsmaßnahmen,
von denen lediglich der Einsatz des IMSI-Catchers – wie
bereits im 19. TB (Nr. 8.2.4) berichtet – eindeutig in der
StPO geregelt ist (§ 100i), bedürfen ebenfalls einer (einheitlichen) Regelung in der StPO.
Problematisch ist des weiteren die derzeitige Ausgestaltung der Anordnungen zur Auskunft über Verbindungsdaten (§ 100h Abs. 1 S. 3 i.V.m. § 100b Abs. 1 StPO);
denn die geltende Regelung ermöglicht, dass eine bei Gefahr im Verzug von der Staatsanwaltschaft getroffene Anordnung für die Dauer von drei Tagen wirksam bleibt,
auch wenn sie nicht vom Richter bestätigt wird. Vielfach
wird deshalb von vornherein auf die richterliche Ent-
scheidung verzichtet. Der Richtervorbehalt droht daher
zumindest für die Fälle ins Leere zu laufen, in denen bereits vorliegende Verbindungsdaten abgefragt werden.
M.E. sollte für diese Fallgestaltung zumindest die obligatorische nachträgliche Einschaltung des Richters vorgesehen werden. Auch darauf habe ich das BMJ aufmerksam
gemacht.
Sehr wichtig ist darüber hinaus, die Transparenz der Telekommunikationsüberwachung zu verbessern. Während
für Maßnahmen der akustischen Wohnraumüberwachung
Berichtspflichten der Staatsanwaltschaften an die jeweils
zuständigen obersten Justizbehörden gesetzlich vorgesehen sind (vgl. Nr. 7.1.2), auf deren Grundlage die
Bundesregierung den Bundestag jährlich über die durchgeführten Maßnahmen unterrichtet, fehlen für Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen vergleichbare
Regelungen. Die vorhandene Datenbasis ist hier bisher
sehr lückenhaft.
Schließlich hat der Gesetzgeber die Geltungsdauer der
§§ 100g, 100h StPO mit Gesetz vom 9. Dezember 2004
(BGBl. I S. 3231) verlängert. Über diese Vorschriften,
welche die Rechtsgrundlage für Auskunftsverlangen der
Strafverfolgungsbehörden über Telekommunikationsverbindungsdaten bilden, habe ich im 19. TB (Nr. 8.2.1) berichtet. Die §§ 100g, 100h StPO waren ursprünglich bis
zum 31. Dezember 2004 befristet, weil der Gesetzgeber
sie bis dahin in einer Gesamtreform der §§ 100a ff. StPO
aufgehen lassen wollte. Da die Reform aber nach wie vor
aussteht, wurde die Geltung der §§ 100g, 100h StPO bis
zum 31. Dezember 2007 verlängert. Kritisch bewerte ich
diese Entscheidung vor allem deshalb, weil ihr keine Evaluation der Wirksamkeit dieser Eingriffsbefugnisse vorausgegangen war. Ich erwarte, dass die Wirksamkeit dieser Befugnisnormen nunmehr rechtzeitig vor dem Ende
der neuen Frist evaluiert wird.
Weiterführende Hinweise: Untersuchung des Max-PlanckInstituts für ausländisches und internationales Strafrecht
„Rechtswirklichkeit und Effizienz der Überwachung der
Telekommunikation nach den §§ 100a, 100b StPO und
anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen“ (Freiburg/
Br., edition iuscrim, 2003); Forschungsprojekt der Uni
Bielefeld zu „Wirksamkeitsbedingungen von Richtervorbehalten bei Telefonüberwachungen“ (Backes/Gusy,
Wer kontrolliert die Telefonüberwachung?, Frankfurt
a. M., Lang, 2003).
7.2.2
Datenschutzkontrollen beim Generalbundesanwalt und beim Bundeskriminalamt
Der Generalbundesanwalt und das BKA teilen meine Ansichten hinsichtlich des datenschutzrechtlichen Standards
bei Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen weitgehend.
Maßnahmen zur Überwachung der Telekommunikation
und zur akustischen Wohnraumüberwachung nach
§§ 100a ff. StPO bildeten den Schwerpunkt meiner
BfD
20. Tätigkeitsbericht
2003–2004