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vermuten, wird mit dem Betroffenen zum Zwecke der
Klärung des Sachverhaltes Kontakt aufgenommen. Dabei
wurde in den vergangenen Jahren ein erheblicher Leistungsmissbrauch festgestellt.
Für die datenschutzrechtliche Bewertung des Sachverhalts sind zunächst die beiden relevanten Übermittlungsvorgänge zu unterscheiden: Eine Befugnis der BAföGÄmter, die für den Abgleich beim BfF erforderlichen Daten zu übermitteln, war lange umstritten. So könnte sie
aus § 69 Abs. 1 Nr. 1 SGB X abgeleitet werden: Danach
wäre die Übermittlung von Sozialdaten zulässig, soweit
sie für die Erfüllung der Zwecke einer gesetzlichen Aufgabe der übermittelnden Sozialleistungsträger erforderlich ist; also auch zur Überprüfung der Angaben der Leistungsempfänger. Nach einer anderen Ansicht ergibt sie
sich weder im Umkehrschluss aus § 45d Abs. 2 Satz 2
Einkommensteuergesetz (EStG) noch aus den Übermittlungsvorschriften des SGB X. Zur Datenübermittlung
vom BfF an die BAföG-Ämter ergibt sich die Befugnis
nach erfolgtem Abgleich durch das BfF aus § 45d Abs. 2
Satz 2 EStG; sie ist datenschutzrechtlich unbedenklich.
Grundsätzlich wird man davon ausgehen müssen, dass
die Regelungen des SGB X nur die Überprüfung von Angaben der Sozialleistungsempfänger im Einzelfall vor
Augen haben. Dieser Grundsatz gilt auch bei der Beurteilung der Frage, ob ein vollständiger Abgleich aller Fälle
für die Erfüllung der Aufgaben der BAföG-Ämter erforderlich ist. Wenn – wie im vorliegenden Fall – der Leistungsmissbrauch in einem solchen Umfang erfolgt, dass
die Durchführung von Stichproben oder die Überprüfung
in Verdachtsfällen keine geeigneten Mittel mehr darstellen, könnte ein vollständiger Abgleich vertretbar sein; allerdings nur als ultima ratio und auf Basis einer klaren gesetzlichen Regelung. Sozialdatenabgleiche sind letztlich
flächendeckende Jedermann-Kontrollen. Nach der Redlichkeitsvermutung als konstitutivem Merkmal unserer
Verfassung darf der Staat nicht jedermann als potentiellen
Rechtsbrecher – d. h. als solchen, der Leistungen missbraucht – betrachten. Der Staat hat vielmehr davon auszugehen, dass die Bürger sich an Recht und Gesetz halten.
Daher ist die Erforderlichkeit einer solchen Maßnahme in
Abständen erneut zu prüfen. Vor diesem Hintergrund
habe ich den zuständigen Bundesministerien mitgeteilt,
dass ich eine klarstellende Gesetzesänderung für die
Übermittlung zu einem vollständigen Abgleich für geboten halte.
Im Einundzwanzigsten Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (21. BAföGÄndG) vom
2. Dezember 2004 (BGBl. I S. 3127) ist in § 41 Abs. 4
eine ausdrückliche spezialgesetzliche Regelung für den
automatisierten Vermögensdatenabgleich geschaffen
worden. Aufgrund meiner Initiative wurden darüber hinaus auch die Antragsformblätter zum BAföG überarbeitet. Diese enthalten nun den deutlichen Hinweis, dass im
Antrag erhobene Angaben zum Vermögen beim BfF
überprüft werden können. Dies entspricht meiner Forderung, dass mit einem weitergehenden Informationsfluss
besondere Informationsrechte der Betroffenen verbunden
sein müssen.
BfD
20. Tätigkeitsbericht
2003–2004
24.2
Forschungsgeheimnis – Wie weit reicht
der Zugang der Wissenschaft?
Seit Längerem fordern Wissenschaftler die Normierung
eines Forschungsgeheimnisses, um einen erleichterten
Zugang zu personenbezogenen Daten zu erhalten. Ein
erster Schritt könnte ein Forschungsgeheimnis für medizinische Daten sein.
Wissenschaftliche Forschungsvorhaben nehmen seit Jahren stetig zu. In vielen Bereichen, insbesondere bei der
medizinischen, der kriminologischen und der sozialwissenschaftlichen Forschung, ist die Verarbeitung personenbezogener Daten erforderlich. Diese Datenverarbeitung
bedarf einer rechtlichen Legitimation entweder durch
Rechtsvorschrift oder mit Einwilligung der Betroffenen.
Mit der Datenübermittlung an Forscher verlieren die Daten aber regelmäßig den strafrechtlichen Schutz vor Offenbarung und Beschlagnahme im Strafverfahren. Den
Forschern steht bezüglich dieser Daten auch kein Zeugnisverweigerungsrecht zu. Durch die Einführung eines
Forschungsgeheimnisses versprechen sich die Wissenschaftler einen erleichterten Zugang zu den personenbezogenen Daten. Aus datenschutzrechtlicher Sicht könnte
dadurch ein besserer Schutz gegen Kenntnisnahme durch
Dritte geschaffen werden, sowohl gegenüber anderen
Forschern als auch gegenüber staatlichen Behörden.
Vor diesem Hintergrund hat sich die 67. Konferenz der
Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder in
einer Entschließung für die Einführung eines Forschungsgeheimnisses zunächst nur für medizinische Daten ausgesprochen (vgl. Kasten zu Nr. 24.2). Der Bundesgesetzgeber wird aufgefordert, in § 203 Strafgesetzbuch die
unbefugte Offenbarung von personenbezogenen medizinischen Forschungsdaten unter Strafe zu stellen, in den
§§ 53, 53a Strafprozessordnung (StPO) ein Zeugnisverweigerungsrecht für Forscher und in § 97 StPO ein Verbot der Beschlagnahme dieser Daten zu schaffen. Die
Datenschutzbeauftragten sind sich einig, dass diese Vorschläge nur einen ersten Schritt zu einer generellen Regelung des besonderen Schutzes personenbezogener Daten
in der Forschung darstellen. Solche Regelungen sollen
zwar kein allgemeines Zugangsrecht der Forscher ermöglichen, aber die rechtlich zulässige Datenübermittlung erleichtern, denn bei der Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Forschung und den schutzwürdigen
Belangen der Betroffenen reduzieren sich die Risiken der
Betroffenen vor einer missbräuchlichen Verwendung ihrer Daten, wenn die Verschwiegenheit der Forscher gewährleistet ist. In einer ersten Stellungnahme hat das
BMJ zugesagt, die Verankerung eines Forschungsgeheimnisses durch Änderungen im StGB sorgfältig zu
prüfen. Eine Änderung der StPO werde nicht erwogen,
insbesondere da das für die Gewährung eines Zeugnisverweigerungsrechtes maßgebliche besondere Vertrauensverhältnis zwischen Forschern und Betroffenen nicht bestehe; gleiches gelte für die hieran anknüpfenden
Beschlagnahmeprivilegien.
Ich werde die Problematik mit dem BMJ weiter erörtern und
mich auch in Gesprächen mit den Wissenschaftlern und
Forschern für konstruktive Lösungsvorschläge einsetzen;
der kürzlich gegründete Rat für Sozial- und Wirtschaftsdaten stellt hierfür ein gutes Forum dar (vgl. Nr. 24.4).