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7.12
Überwachung des Internet
durch Provider?
Zwei Gesetzgebungsvorhaben führten zu heftigen Diskussionen darüber, ob Internetprovider verpflichtet werden
können, Inhabern von Urheberrechten Auskunft über die
hinter einer IP-Adresse stehenden Kunden zu erteilen.
Das Phänomen ist bekannt: Um in den Genuss von Musikstücken oder Filmwerken zu gelangen, wird von einigen
Internetnutzern auf sog. Tauschbörsen zurückgegriffen.
Um Urheberrechtsverstöße im Internet verfolgen zu können, wenden sich die Rechteinhaber bisweilen an die Internetzugangsprovider und fordern diese auf, den Kunden, der mit einer bestimmten dynamischen IP-Adresse
auffällig geworden ist, namentlich zu benennen. Denn
i. d. R. vergeben die Provider eine bestimmte IP-Adresse
nur für eine Internetsession, also dynamisch, und nicht
dauerhaft. Anhand von Protokolldateien, in denen aufgezeichnet wird, welcher Kunde zu welchem Zeitpunkt welche IP-Adresse zugewiesen bekommen hat, ist es den
Providern in vielen Fällen möglich, den hinter der IPAdresse stehenden Kunden zu identifizieren. Da die Provider solchen Auskunftsanforderungen regelmäßig nicht
nachkommen und eine ausdrückliche Gesetzesgrundlage
für einen solchen Anspruch gegen einen (unbeteiligten)
Dritten nicht existiert, stellt sich die Frage, ob der Gesetzgeber regelnd eingreifen soll. Diese Überlegung wurde
sowohl auf europäischer wie auf nationaler Ebene diskutiert. Da die Daten über die Nutzung des Internet dem
Fernmeldegeheimnis unterliegen, ist ihre Herausgabe
ohne eine spezialgesetzliche Regelung aus meiner Sicht
nicht zulässig (vgl. Nr. 7.12.2).
7.12.1 IPR-Enforcement-Richtlinie
Die Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments
und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der
Rechte des geistigen Eigentums (sog. IPR-EnforcementRichtlinie) harmonisiert Verfahren und Rechtsbehelfe,
mit denen Rechte des geistigen Eigentums sichergestellt
werden sollen. Artikel 8 der Richtlinie enthält einen Auskunftsanspruch gegenüber Personen und Stellen, die an
der Verbreitung urheberrechtsgeschützten Materials mitwirken. Die Mitgliedstaaten müssen danach sicherstellen,
dass die zuständigen Gerichte in einem Verfahren wegen
Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums auf einen begründeten und die Verhältnismäßigkeit wahrenden
Antrag des Klägers hin anordnen können, dass Auskünfte
über den Ursprung und die Vertriebswege von Waren
oder Dienstleistungen, die ein Recht des geistigen Eigentums verletzen, auch von bestimmten anderen Personen
außer dem eigentlichen Verletzer erteilt werden. Der endgültige Wortlaut der Richtlinie enthält gegenüber dem ursprünglichen Entwurf einige datenschutzrechtliche Verbesserungen, die auch auf Grund meiner Anregungen
erreicht werden konnten.
Die Richtlinienvorgaben bedeuten für den nationalen Gesetzgeber, dass ein Auskunftsanspruch nur im Rahmen eines bereits anhängigen Klageverfahrens gegen einen namentlich bekannten Rechtsverletzter möglich sein wird
BfD
20. Tätigkeitsbericht
2003–2004
(Richtervorbehalt). Ein Verfahren gegen Unbekannt, welches eine Ausforschung durch den Rechteinhaber möglich machen würde, ist damit nicht vorgesehen. Der Auskunftsanspruch besteht auch nur gegenüber gewerblich
handelnden Dritten, also nicht gegenüber Privatpersonen.
Erfreulich ist schließlich auch der Verzicht auf eine im
Entwurf enthaltene Regelung, wonach Zoll- und Polizeibehörden Informationen, die sie im Zusammenhang mit
einer Rechtsverletzung erlangen, automatisch an die
Rechteinhaber übermitteln sollten, um diese in die Lage
zu versetzen, rechtliche Schritte gegen die Betroffenen
einzuleiten.
7.12.2 „Zweiter Korb“ der Novellierung
des Urheberrechts
Im Zusammenhang mit der Novellierung des Urheberrechts hat sich der Gesetzgeber bereits intensiv mit einem
Auskunftsanspruch gegen Internetprovider auseinandergesetzt. In einem „Ersten Korb“ wurde das Urheberrecht
am 13. September 2003 novelliert und damit die EGRichtlinie 2001/29/EG vom 22. Mai 2001 zum Urheberrecht in der Informationsgesellschaft (teilweise) umgesetzt (Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der
Informationsgesellschaft, BGBl. I S. 1774). Alles, was
auf Grund der Richtlinie nicht zwingend fristgemäß von
den Mitgliedstaaten umzusetzen war, blieb der weiteren
Regelung in einem „Zweiten Korb“ vorbehalten. An den
Beratungen zu diesem „Zweiten Korb“ war ich beteiligt.
Bis zum Abschluss der Beratungen war offen, ob es einen
gesetzlich verankerten Auskunftsanspruch gegenüber Internetprovidern geben soll. Der im September 2004 vom
BMJ vorgelegte Referentenentwurf zur Änderung des Urheberrechts brachte dann Klarheit: Ein Auskunftsanspruch ist nicht vorgesehen.
Dies ist aus folgenden Gründen, die ich auch gegenüber
dem BMJ vorgetragen hatte, zu begrüßen: IP-Adressen,
die für die Inanspruchnahme des Internet vom Zugangsprovider vergeben und aufgezeichnet werden und eine
Identifizierung eines Rechteverletzers ermöglichen, sind
als Verkehrsdaten i.S.d. Telekommunikationsgesetzes zu
beurteilen und unterliegen deshalb dem Fernmeldegeheimnis. Ein zivilrechtlicher Auskunftsanspruch würde
letztlich dazu führen, dass alle Verkehrsdaten verpflichtend über einen unbegrenzten Zeitraum gespeichert und
zum Abruf bereitgehalten werden. Das geltende Telekommunikationsrecht lässt aber eine Speicherung nur zu
bestimmten abschließend aufgeführten Zwecken zu (vgl.
Nr. 13.1.1). Soweit die Verkehrsdaten für diese Zwecke,
insbesondere für die Abrechnung und den Aufbau weiterer Verbindungen nicht erforderlich sind, müssen sie nach
Beendigung der Verbindung unverzüglich gelöscht werden. Die Speicherung von IP-Adressen über den gesetzlich vorgegebenen Rahmen hinaus wäre eine unzulässige
Vorratsdatenspeicherung.
Vor dem Hintergrund, dass aufgrund des gesetzlichen
Auskunftsanspruchs nach §§ 100g, 100h Strafprozessordnung bereits ein wirksames Instrument zum Zugriff auf
Verkehrsdaten für Zwecke der Strafverfolgung vorhanden