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7.3.4
DNA-Massenscreening
Soll der DNA-Massentest gesetzlich geregelt werden?
Sog. „Massengentests“, bei denen auf Basis der Einwilligung Speichelproben von hunderten oder tausenden Personen untersucht wurden, haben zur Aufklärung einiger
Kapitalverbrechen beigetragen. Da die Einwilligung als
Rechtsgrundlage für den DNA-Massentest problematisch
ist, habe ich für eine klarstellende gesetzliche Regelung
plädiert, die die rechtsstaatlichen Rahmenbedingungen eines DNA-Massentests festlegt (vgl. 19. TB Nr. 8.2.3.2.).
Wichtig ist dabei, dass DNA-Reihenuntersuchungen ultima ratio der strafprozessualen Ermittlungen bleiben
müssen. Gegenüber anderen gesetzlich geregelten Ermittlungsmaßnahmen muss diese Untersuchung subsidiär
sein. Anlass zu einer solchen Reihenuntersuchung darf
zudem nur eine besonders schwere, gegen Leib oder Leben gerichtete Straftat sein. Der Teilnehmerkreis ist vor
Durchführung der Maßnahme durch eine Fallanalyse hinreichend zu begrenzen. Keinesfalls darf die Verweigerung
der Teilnahme einen Anfangsverdacht begründen. Die
wirksame Einwilligung der Teilnehmer setzt sorgfältig
gestaltete Formulare voraus, die insbesondere den Erhebungszweck, die Freiwilligkeit der Teilnahme und die
Widerruflichkeit der Einwilligung deutlich machen sowie
auf die Nutzung und Löschung der erhobenen Daten hinweisen. Ferner müssen die erhobenen Daten einer strengen Zweckbindung unterliegen. Sie dürfen deshalb nur
mit den Tatortspuren abgeglichen und nicht in die DNAAnalysedatei des BKA eingestellt werden. Nutzungen für
andere Zwecke müssen ausgeschlossen sein. Nach einem
Negativergebnis der Analyse sind sowohl die DNA-Probe
als auch das gewonnene Identifizierungsmuster zu vernichten. Die übrigen Daten der Betroffenen müssen spätestens nach Abschluss des Verfahrens gelöscht werden.
Wichtig ist schließlich, dass alle Verfahrensschritte hinreichend dokumentiert werden.
Inzwischen hat der „Arbeitskreis Justiz“ der Konferenz
der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder
ein Positionspapier zu den Anforderungen an die Durchführung von DNA-Reihenuntersuchungen verfasst (Kasten zu Nr. 7.3.4). Die Konferenz der Justizministerinnen
und Justizminister scheint eine gesetzliche Regelung der
Reihentests zu befürworten. Jedenfalls hat sie ihren Strafrechtsausschuss gebeten, eine solche gesetzliche Regelung näher zu prüfen und hierzu Vorschläge zu unterbreiten (Beschluss anlässlich der 75. Konferenz am
17. und 18. Juni 2004 TOP II.1).
K a s t e n zu Nr. 7.3.4
Anforderung an die Durchführung von DNA-Reihenuntersuchungen
Positionspapier des Arbeitskreises Justiz der Datenschutzkonferenz
Die rechtsstaatliche Problematik der DNA-Reihenuntersuchungen liegt in einer faktischen Umkehr der Beweislast
durch Durchbrechung der Unschuldsvermutung. Gegen die Betroffenen muss nicht einmal ein Anfangsverdacht bestehen, damit sie zur Teilnahme an der Untersuchung aufgefordert werden können. Vielmehr genügt hierfür bereits
die Zugehörigkeit zu einer durch ganz allgemeine Kriterien wie Wohnort und Alter umschriebenen Gruppe. Deshalb
dürfen DNA-Reihenuntersuchungen nur unter strengen rechtsstaatlichen Anforderungen durchgeführt werden. Dazu
gehört die Beachtung folgender Kriterien:
– Anlasstat muss eine schwere, gegen die Rechtsgüter Leib oder Leben gerichtete Straftat sein.
– Gegenüber gesetzlich geregelten Ermittlungsmaßnahmen muss die DNA-Reihenuntersuchung subsidiär sein und
als ultima ratio eingesetzt werden.
– Der Teilnehmerkreis muss durch eine Fallanalyse hinreichend eingegrenzt werden. Ein Massentest „ins Blaue
hinein“ kann unter keinen Umständen zulässig sein.
– Die Tests müssen im Rahmen der Verhältnismäßigkeit in konzentrischen Kreisen durchgeführt werden, soweit der
Kreis nicht klar und bestimmt ist. Eine Ausweitung auf den nächstgrößeren Kreis darf jeweils nur erfolgen, wenn
die Maßnahme im engeren Kreis erfolglos geblieben ist.
– Die wirksame Einwilligung der Teilnehmer setzt sorgfältig gestaltete Formulare voraus, die insbesondere deutlich
auf den Erhebungszweck, die Freiwilligkeit der Teilnahme und die Widerruflichkeit der Einwilligung sowie auf
die Nutzung und Löschung der erhobenen Daten hinweisen. Diese Formulare müssen vorab übersandt werden, damit die Betroffenen ihre Entscheidung hinreichend und unbeeinflusst überdenken können. Die Maßnahmen zur
Durchführung der DNA-Analyse (entsprechend § 81f Abs. 2 StPO) einschließlich der zur Analyse in Frage kommenden Institute sind darzulegen. Missverständliche Hinweise auf die Möglichkeit der Erwirkung von Gerichtsbeschlüssen zur zwangsweisen Durchsetzung der Maßnahmen dürfen in keinem Fall gegeben werden.
– Die erhobenen Daten müssen einer strengen Zweckbindung unterliegen. Sie dürfen nicht mit der DNA-AnalyseDatei des Bundeskriminalamtes abgeglichen oder in diese eingestellt werden. Zweckdurchbrechende Nutzungen
nach §§ 474 ff. StPO müssen ausgeschlossen sein.
– Nach einem Negativergebnis der Analyse sind die DNA-Probe und das DNA-Muster unverzüglich zu vernichten.
Die gespeicherten Daten sind zu löschen, nach Abschluss des Verfahrens auch Namen und Negativergebnis.
– Die Verweigerung der Teilnahme allein darf keinen Anfangsverdacht begründen (BVerfG, NJW 1996, S. 3071 ff).
Sie rechtfertigt es auch nicht, die Betroffenen als „andere Personen“ im Sinne von § 81c StPO anzusehen.
– Die Verfahrensschritte sind hinreichend zu dokumentieren.
BfD
20. Tätigkeitsbericht
2003–2004