Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. März 2014
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Dr. Eva Högl
(A) nur aufzuklären, sondern auch die notwendigen Konsequenzen daraus zu ziehen. Es ist wichtig, dass wir das
auch in diesem Untersuchungsausschuss tun. Wir sollten
gemeinsam Vorschläge besprechen, wie wir alle Bürgerinnen und Bürger, ihre Privatsphäre, ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung und die Integrität der von
ihnen genutzten Kommunikationssysteme schützen
können. Genau darum geht es. Das wird ein wichtiger
Beitrag zum Schutz unserer Grundrechte sein.
Herzlichen Dank und allen, die daran arbeiten, viel
Erfolg.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Vizepräsidentin Ulla Schmidt:
Vielen Dank. – Das Wort hat Dr. Konstantin von
Notz, Bündnis 90/Die Grünen.
Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit knapp einem Jahr erleben wir den größten Überwachungs- und
Geheimdienstskandal aller Zeiten. Die Erkenntnisse, die
wir bis heute einzig und allein dem Whistleblower
Edward Snowden zu verdanken haben, stehen für die
Kernschmelze von Rechtsstaatlichkeit und für die
Erosion der Werte Europas und der gesamten freien
Welt.
Dieser Untersuchungsausschuss ist die dringend notwendige parlamentarische Antwort hierauf. Wie notwen(B) dig sie ist, zeigen die neuesten Enthüllungen – Kollege
Sensburg hat es angesprochen – um das Programm
Mystic, das flächendeckend Inhalte – Inhalte! – von
Telefonaten ganzer Nationen speichert, eine Praxis, die
trotz aller Erkenntnisse, die wir in den letzten Monaten
hatten, nochmals alle Dimensionen sprengt. Mystic steht
damit wie Tempora, wie Prism, wie XKeyscore und
viele andere Programme für einen beispiellosen Abstieg
vom Ideal freiheitlicher Demokratien in die Niederungen
von De-facto-Überwachungsgesellschaften, denen wir
uns als Abgeordnete hier heute endlich und mit aller Entschiedenheit entgegenstellen müssen, meine Damen und
Herren.
Von Anfang an war das sogenannte Acht-Punkte- (C)
Programm der Kanzlerin ein Potemkin’sches Dorf.
Praktisch nichts davon wurde bis heute umgesetzt.
Zumindest haben Sie mittlerweile, nach Monaten des
unbeirrten Festhaltens daran, erkannt, dass das bilaterale
No-Spy-Abkommen von vornherein ein einziger Irrweg
war. Die notwendigen weiteren Schritte scheuen Sie
leider bis heute noch immer.
Deswegen ist es gut, dass jetzt dieses Parlament
reagiert, dass der PUA endlich kommt und dass er auch
die Rolle der deutschen Dienste untersuchen wird.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD)
Nach monatelangen Verhandlungen hat letztendlich die
Vernunft obsiegt. Das Verhandlungsergebnis erlaubt uns
nicht nur, auf die anderen zu zeigen, sondern auch, vor
der eigenen Tür zu kehren.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir haben kein großes Aufheben davon gemacht
– das will ich an dieser Stelle deutlich sagen –, dass die
GroKo, die Große Koalition, versucht hat, unseren
Untersuchungsauftrag zu verwässern,
(Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Das
stimmt ja auch nicht!)
weil wir zunächst unterstellen, dass Sie ein echtes Aufklärungsinteresse haben, Frau Kollegin Högl; ich unterstelle bis heute, dass uns ein echtes Aufklärungsinteresse
eint.
(D)
(Dr. Eva Högl [SPD]: Danke schön!)
Klar ist aber auch: Der Parlamentarische Untersuchungsausschuss ist das schärfste Schwert des Parlaments, insbesondere der Opposition und insbesondere
bei einer Koalitionsmehrheit von 80 Prozent. Zu diesem
schärfsten Schwert gehört der Untersuchungsauftrag
genauso wie das unverbrüchliche Recht, Zeugen zu benennen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der
SPD und der LINKEN)
Diese Rechte, Herr Kollege Flisek, auch nur andeutungsweise infrage zu stellen, das ist die Show, meine Damen
und Herren.
Den Skandal einfach auszusitzen – das sage ich in
aller Deutlichkeit in Richtung Bundesregierung; Herr
Kollege Krings, nichts gegen Sie, aber die Regierungsbank ist angesichts der Wichtigkeit des Themas etwas
spärlich besetzt –,
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
(Dr. Günter Krings, Parl. Staatssekretär:
Qualität!)
ist für uns keine Option. Sie müssen endlich einsehen,
dass Sie durch dieses Nichthandeln über Jahrhunderte
erkämpfte rechtsstaatliche Errungenschaften zur Disposition stellen. Eine solche Haltung ist schlicht inakzeptabel, meine Damen und Herren.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Zum Ziel dieses Ausschusses sagen wir Grüne klar:
Es geht uns nicht darum, am Stuhl eines Ministers oder
gar der Bundeskanzlerin zu sägen; wir wollen in diesem
Ausschuss – Herr Kollege Sensburg, das eint uns – keine
Parteipolitik machen. Uns geht es um nichts weniger als
die Wiederherstellung verfassungsgemäßer Verhältnisse;
das muss unser gemeinsames Anliegen sein. Dafür gilt
es zunächst, aufzuklären, Transparenz herzustellen und
zu verstehen, und dann müssen wir gemeinsam die richtigen Konsequenzen ziehen. Wir müssen klarmachen:
Massenhafte anlasslose Überwachung ist verfassungswidrig.