1814

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. März 2014

Katja Kipping

(A) – Ja, Sie schütteln den Kopf, weil Sie das offensichtlich
immer noch als eine Formalie behandeln.
Ich sage Ihnen: Teile der sächsischen Justiz und der
sächsischen Polizei sehen das offensichtlich anders als
ich. Sie sind verdammt eifrig, wenn es darum geht, die
antifaschistische Zivilcourage zu kriminalisieren. Reden
wir über den Fall von Pfarrer König: Das Verfahren
musste inzwischen eingestellt werden, weil man festgestellt hat, dass die Polizei entlastende Beweise einfach
unterschlagen hat, und weil man festgestellt hat, dass
einseitig ermittelt worden ist. Einem jungen Familienvater drohen jahrelange Haftstrafen. Flächendeckend wurden die Telefone Zehntausender Leute einfach überwacht. Gleichzeitig versagt ebenjener sächsische
Sicherheitsapparat, wenn es darum geht, Opfer von brauner Gewalt zu schützen.
Sie alle haben sicherlich von dem jungen Paar in Hoyerswerda gehört. Die beiden sind bekennende Antifaschisten. Nazis sind in ihre Wohnung eingebrochen und
haben der Frau sogar eine Vergewaltigung angedroht.
Die sächsischen Sicherheitsbehörden wussten nichts zu
deren Schutz zu tun. Sie mussten umziehen, mussten die
Stadt verlassen.
(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Was ist das
denn für eine Erklärung?)
Wenn ich den Eifer bei der Verfolgung und Kriminalisierung von antifaschistischer Zivilcourage und das jämmerliche Versagen, wenn es um den Schutz der Opfer
brauner Gewalt geht, gegenüberstelle, muss ich sagen:
(B) Dafür fehlen mir jegliche zivilisierten Worte. Das finde
ich beschämend und peinlich.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Ich komme zum Schluss. Die heutige Immunitätsaufhebung ist nur ein Mosaikstein in diesem größeren Gebilde. Deswegen stimme ich dagegen. Als Dresdnerin
und Demokratin sage ich: Danke schön! Ein Danke an
all jene, die trotz Schikane und klirrender Kälte mit dazu
beigetragen haben, dass der europaweit größte Naziaufmarsch in Dresden Geschichte wird. Auch in Zukunft
muss gelten: Kein Fußbreit den Nazis!
Danke schön.
(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg.
Dr. Eva Högl [SPD] – Dr. Georg Nüßlein
[CDU/CSU]: Kein Satz zur Sache!)
Vizepräsidentin Claudia Roth:

Danke, Frau Kollegin. – Um das noch einmal klarzustellen: Das war eine Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung. Den Eindruck, der möglicherweise entstanden ist, dass sich diejenigen, die dem Antrag
zustimmen, mit den Anliegen von Nazianwälten gemein
machen, weise ich zurück.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Georg
Nüßlein [CDU/CSU]: Unerhört!)

Das Wort hat nach § 31 Abs. 1 der Geschäftsordnung (C)
der Kollege Wadephul.
Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir hatten eigentlich vereinbart, hierzu nicht zu
sprechen. Dennoch möchte ich nun als Vorsitzender des
Ausschusses in aller Kürze das aufnehmen, was die Frau
Präsidentin gesagt hat.
Wir haben in dieser Wahlperiode, uns dabei auf umfängliche Erörterungen in der vergangenen Wahlperiode
stützend, in unserem Ausschuss unter einer intensiven
Teilnahme aller Beteiligten eine Entscheidung getroffen.
Unter rein immunitätsrechtlichen Gesichtspunkten hatten wir die Frage zu entscheiden, ob wir der Durchführung des entsprechenden Verfahrens zustimmen, ja oder
nein. Weil es unsere Arbeit diskreditieren würde, kann
ich nicht akzeptieren, dass Sie uns im Ansatz unterstellen, damit eine politische Meinungsäußerung zu verbinden, die irgendein Mitglied des Ausschusses auch nur in
die Nähe von faschistischen Umtrieben bringen könnte.
Ich kann auch nicht akzeptieren, dass Sie ein Verfahren,
was sich dieses Hohe Haus auf der Grundlage des
Grundrechtsschutzes der Immunität gegeben hat, als formalistisch diskreditieren. Formalien haben in einem
Rechtsstaat ihren Sinn und ihren Zweck. Sie zu erfüllen,
ist manchmal nicht leicht. Unabhängig davon sollten wir
den Konsens der Demokraten gerade bei der Bekämpfung von faschistischen Umtrieben nicht infrage stellen.
Ich würde es für sinnvoll halten, wenn entsprechende
Auseinandersetzungen, auch über die Frage der Demons- (D)
tration dort in Dresden, in einem anderen Rahmen als
diesem geführt würden, wenn die Mitglieder dieses Ausschusses, die sich die Sache nicht leicht gemacht haben,
nicht in dieser Art und Weise angegriffen werden würden.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsidentin Claudia Roth:

Vielen Dank, Herr Kollege. – Das Wort zu einer Erklärung zur Abstimmung nach § 31 Abs. 1 der Geschäftsordnung hat Britta Haßelmann für Bündnis 90/
Die Grünen.
Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Da ich an der Abstimmung mitgewirkt habe, darf ich, glaube ich, im Gegensatz zu Ihnen, Frau Kipping, hier auch eine persönliche Erklärung abgeben. Sie nutzen ja anscheinend das
Forum, um eine politische Erklärung abzugeben und vor
allen Dingen um alle, die Ihre Auffassung nicht teilen,
zu diskreditieren und hinsichtlich der Neonazi-Aufmärsche in Dresden in eine Ecke zu stellen, die völlig inakzeptabel ist.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
bei der CDU/CSU und der SPD)

Select target paragraph3