Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. März 2014
1813
Vizepräsidentin Claudia Roth
(A) diesen Wahlvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Damit ist der Wahlvorschlag von allen
Mitgliedern hier im Hohen Haus einstimmig angenommen.
Interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tagesordnung um die Beratung von zwei Beschlussempfehlungen des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung zu zwei Anträgen auf Genehmigung
zur Fortsetzung eines Strafverfahrens zu erweitern und
diese jetzt als Zusatzpunkte 7 und 8 aufzurufen. Sind Sie
damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist das so
beschlossen.
Somit rufe ich jetzt die Zusatzpunkte 7 und 8 auf:
ZP 7
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (1. Ausschuss)
Antrag auf Genehmigung zur Fortführung eines Strafverfahrens in der 18. Wahlperiode
Drucksache 18/876
ZP 8
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (1. Ausschuss)
Antrag auf Genehmigung zur Fortführung eines Strafverfahrens in der 18. Wahlperiode
Drucksache 18/877
Bevor wir zur Abstimmung über die beiden soeben
genannten Beschlussempfehlungen kommen, erteile ich
(B) nach § 31 der Geschäftsordnung Katja Kipping für die
Linke das Wort.
Katja Kipping (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Ich möchte eine persönliche Erklärung abgeben, warum ich gegen die hier vorliegenden
Beschlussvorlagen stimmen werde; das ist für mich eine
sehr persönliche Angelegenheit.
Sie von der Union, den Grünen und der SPD haben im
Ausschuss der Aufhebung der Immunität von Caren Lay
und Michael Leutert zugestimmt. Sie behandeln das als
eine rein formale Angelegenheit; vielleicht haben Sie damit, rein formalistisch gesehen, auch recht. Aber hier
handelt es sich eben nicht um eine formale Angelegenheit. Das, was wir in Dresden jahrelang am 13. Februar
erleben mussten, war alles andere als eine Formalie.
(Beifall bei der LINKEN)
Jahrelang habe ich mich als Dresdnerin geschämt, weil
meine Heimatstadt am 13. Februar zum Gebiet für den
europaweit größten Naziaufmarsch wurde. Jahrelang
mussten wir erleben, wie die Nazis das stille Gedenken
der Dresdner für ihre Form von braunem Geschichtsrevisionismus missbraucht haben.
der Fackelzüge der braunen Brut, die ungehindert durch (C)
die Dresdner Innenstadt gezogen ist, verdammt hilflos.
Vor diesem Hintergrund war ich froh, als sich endlich ein
breites Bündnis gefunden hat, das gesagt hat: Das müssen wir ändern! – Tausende, ja Zehntausende haben sich
entschieden: Wir stellen uns den Nazis friedlich, aber
entschieden in den Weg.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Darunter waren auch Caren, Micha, ich und viele weitere Abgeordnete aus unterschiedlichen Fraktionen.
(Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Auch aus anderen Parteien!)
– Ja, auch aus anderen Parteien.
Wenn man wusste, wie sich die braune Gewalt in
Sachsen ausgeweitet hat, und wenn man, wie ich, erlebt
hat, wie diese braune Brut ungehindert durch die Dresdner Innenstadt zog, dann konnte man sich an diesem Tag
nicht hinter Formalien verstecken. Da gab es einfach etwas, das größer war. In mir hat alles gerufen: Hier musst
du deinem Gewissen folgen! Hier musst du Gesicht zeigen! Hier kannst du nicht fragen, ob wirklich jede Sitzblockade genehmigt ist! – Ich bin froh, dass viele so gedacht haben.
(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg.
Daniela Kolbe [SPD])
Die vielen haben dabei viel auf sich genommen. Es war
an diesem Tag verdammt kalt. An vielen Kreuzungen
gab es keine Toilette. Eine drückende Blase, kalte Füße – (D)
das war das Mindeste, was man in Kauf genommen hat.
(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Das ist Zivilcourage!)
Heute geht es um die Aufhebung der Immunität von
Caren Lay und Michael Leutert. Da ich mit beiden auf
derselben Kreuzung war, weiß ich, dass auch andere Abgeordnete, auch Abgeordnete anderer Fraktionen, dort
waren. Natürlich steht die Frage im Raum: Warum geht
es heute nur um die Aufhebung der Immunität dieser
beiden? Die Antwort ist ganz einfach: Es war ein NPDAnwalt, der sich im Nachhinein Zeitungsfotos angeschaut hat, um willkürlich Strafanzeige gegen bekannte
Gesichter zu erheben. Es war also ein Anwalt jener Nazipartei, deren Vertreter im Sächsischen Landtag vom
„Bomben-Holocaust“ gesprochen und damit eines der
schlimmsten Menschheitsverbrechen der Geschichte
verharmlost haben.
(Max Straubinger [CDU/CSU]: Ist das zur Geschäftsordnung?)
Können Sie sich vorstellen, wie das in den Ohren der
Jüdischen Gemeinde klingt? Wir hatten in Dresden einst
eine sehr reiche jüdische Gemeinde mit 5 000 Mitgliedern. Nur 41 davon haben den Holocaust in Dresden
überlebt. Sie müssen sich heute Hohn und Spott von den
Nazis gefallen lassen, und deren Anwalt erstattet jetzt
eine Strafanzeige. Ich finde, mit solchen Nazianwälten
darf man sich nicht gemein machen!
Wie Sie wissen, haben wir immer Gegenaktionen
durchgeführt, Kundgebungen mit Kerzen. Sie waren natürlich symbolisch wichtig. Aber sie wirkten angesichts
(Beifall bei der LINKEN – Dr. Karl
Lauterbach [SPD]: Das macht doch auch niemand!)