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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. März 2014

Elisabeth Scharfenberg

(A)

Meine Damen und Herren, wenn wir heute über die
Haftpflichtversicherung der Hebammen und der Geburtshelfer reden, dann sprechen wir nicht über dröge
Versicherungsmathematik. Nein, wir reden darüber, ob
werdende Eltern frei entscheiden können, wo und wie
sie ihr Kind zur Welt bringen. Die Zeit drängt. Deswegen ist die Bundesregierung jetzt gefordert, endlich etwas zu tun.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der LINKEN)
Verständnisvolle Worte an die Hebammen zu richten, ist
das eine, Herr Minister. Sie umzusetzen, ist das andere.
Seit 2003 steigen die Beiträge, die vor allem freiberufliche Hebammen für ihre Haftpflichtversicherung
zahlen müssen, über alle Maßen. Ich will hier einmal
ganz deutlich werden: Im Jahr 2003 musste eine freiberuflich tätige Hebamme rund 500 Euro pro Jahr für ihre
Haftpflichtversicherung bezahlen. Im Juli 2010 waren es
rund 3 700 Euro. Das entspricht einer Steigerung um
über 700 Prozent. Und das geht so weiter. In diesem Jahr
sollen die Prämien bis auf 5 000 Euro steigen.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Buh!)
Zudem ist kaum noch ein privates Versicherungsunternehmen überhaupt bereit, Haftpflichtversicherungen für
den Bereich der Geburtshilfe anzubieten. Nun will in
diesem Jahr auch noch einer der letzten verbliebenen
Anbieter abspringen.
(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Hört! Hört!)

(B)

Schon jetzt steigen immer mehr Hebammen aus der
Geburtshilfe aus, und immer mehr Geburtshäuser schließen. In strukturschwachen Gebieten ist die Geburtshilfe
auch in Krankenhäusern gefährdet. Dort schließen Geburtsabteilungen, oder es schließt gleich das ganze Krankenhaus. Meine Damen und Herren, die Wahlfreiheit
werdender Eltern ist damit schon heute massiv eingeschränkt. Es muss jetzt etwas passieren.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der LINKEN)
Das Problem, das wir heute debattieren, ist nicht erst
seit gestern bekannt. Die Herren Gesundheitsminister
Rösler und Bahr haben dieses Thema weniger als halbherzig angefasst – und das ist freundlich formuliert.
(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Genau! So war es!)
Jetzt sind Sie gefragt, Herr Minister Gröhe. Sie müssen sehr kurzfristig – mit „sehr kurzfristig“ meine ich
sofort – auf die gesetzlichen Krankenkassen einwirken,
damit diese mit den Hebammenverbänden in neue Vergütungsverhandlungen gehen. Freiberufliche Hebammen müssen in der Lage sein, von ihren Honoraren die
Haftpflichtprämien zu bezahlen. Herr Gröhe, Sie müssen
– auch das sofort – mit den privaten Versicherungsunternehmen reden, damit diese auch weiterhin Haftpflichtversicherungen anbieten; das haben Sie im Gesundheitsausschuss angekündigt, und Sie werden ja auch gleich zu
diesem Thema reden. Ich sage Ihnen ehrlich: Ich nehme
Sie beim Wort. Ich bin auf Ihre Taten gespannt. Auch die

Hebammen werden heute sehr interessiert zuhören; auch (C)
sie sind auf die Ergebnisse gespannt.
Dadurch wird das Problem allerdings kurzfristig nicht
gelöst. Diese Maßnahmen – das Reden mit den Hebammenverbänden, mit den Versicherern, mit den Krankenkassen – verschaffen uns allenfalls ein bisschen Zeit. Die
Prämien werden weiterhin steigen. Deswegen braucht es
einen weiteren Schritt, um die Versicherungsbeiträge
real zu senken.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Auch das müssen wir noch in diesem Jahr in Angriff
nehmen. Im Kern gibt es hier zwei Möglichkeiten: Die
erste Möglichkeit ist ein Haftungsfonds. Das heißt, die
Versicherungsunternehmen kommen nur noch bis zu einer festgelegten Obergrenze für Schäden auf; darüber
übernimmt dann der Haftungsfonds die Kosten. Die
zweite Möglichkeit ist: Man begrenzt die Summen, die
sich die Sozialleistungsträger, zum Beispiel die Kranken- oder Rentenversicherung, im Schadensfall von den
Versicherungsunternehmen zurückholen können; hier
sprechen wir dann von der Regressbeschränkung.
Beide Modelle – das wissen wir – sind nicht perfekt.
Aber sie können zumindest für einige Zeit die Situation
der Hebammen und damit der Geburtshilfe etwas entspannen. Diese Zeit brauchen wir, um eine grundlegende
Reform umzusetzen. Wir als Grüne sagen, dass wir eine
Berufshaftpflicht für alle Gesundheitsberufe brauchen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten
der SPD)
Nicht nur die Hebammen, nein, alle Gesundheitsberufe
ächzen unter den steigenden Haftpflichtprämien. Die
Prinzipien der gesetzlichen Unfallversicherung könnten
ein Vorbild für eine gesetzliche Berufshaftpflicht sein.
Das, Herr Minister, sollte die Bundesregierung ganz
dringend und schnell untersuchen, damit wir bald ein
tragfähiges und nachhaltiges System auf die Beine stellen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Minister, die Hebammen und die Eltern haben
nun schon sehr lange gehört, wie kompliziert ihr Problem ist; das stimmt. Aber Sie hatten nun auch lange genug Zeit, eine Lösung zu finden.
(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben die letzte Legislaturperiode
verschlafen!)
Sie müssen jetzt auch eine Entscheidung treffen; denn
Zeit haben die Hebammen nicht mehr.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Ich sage noch einmal ganz klar: Wir reden hier nicht
über Zahlen. Wir reden hier über das Überleben des Berufsstandes der Hebamme. Wir reden über die Wahlfreiheit der werdenden Mütter und Eltern beim existenziells-

(D)

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